■ Nordirland: Sinn Féin steigt eventuell aus den Verhandlungen aus: Eine gewaltfreie Alternative?
Der nordirische Friedensprozeß geht auch ohne Sinn Féin in seine Endphase, so verkünden die Regierungen in London und Dublin. Ihre Strategie wird immer deutlicher: Sie setzen auf eine Übereinkunft, bei der die irische Teilung von der Bevölkerung beiderseits der Grenze per Referendum abgesegnet wird. Damit hätten sie Sinn Féin politisch erledigt und die sozialdemokratische SDLP sowie den Unionistenchef David Trimble gestärkt.
Ein durchgesickerter Geheimbericht von einem Treffen zwischen Tony Blair und US-Politikern vor ein paar Wochen hat die Katze aus dem Sack gelassen: Unionisten müssen ihr Veto über politische Veränderungen nicht aufgeben, versprach Blair, auch wenn die andere Seite Konzessionen machen sollte. Eine solche „Lösung“ würde an den Strukturen und der politischen Kultur in Nordirland nicht rütteln – im Gegenteil. Selbst die zahnlosen gesamtirischen Institutionen, die im anglo-irischen Regierungsvorschlag vorgesehen sind, würden permanenten Widerstand bei den Unionisten hervorrufen. Zu welchen weiteren Zugeständnissen wären die Regierungen dann um des lieben Friedens willen bereit?
Aufgrund der vorübergehenden Verbannung vom Runden Tisch hat Sinn Féin Zeit für eine Bestandsaufnahme. Und die ist dringend nötig: Die bei Sinn Féin und IRA vorherrschende Meinung, daß eine Rückkehr zur Gewalt die einzige Alternative zum Friedensprozeß ist, hat ihren politischen Einfluß stark geschwächt. Zwar steht fest, daß vor allem die IRA- Kampagne das Nordirland-Problem in London auf die Tagesordnung gesetzt hat, doch sie ist längst kein Druckmittel mehr. Die Unterstützung für Sinn Féin war bei rund zwölf Prozent an ihre Grenzen gestoßen. Erst seit dem Waffenstillstand ist diese Schallmauer durchbrochen worden, weil zum ersten Mal eine friedliche Alternative zur SDLP aufgetaucht war.
Für die katholischen Sozialdemokraten von der SDLP haben die Mehrparteiengespräche denn auch eine viel größere Bedeutung als für Sinn Féin. Sie müssen das Ergebnis der Verhandlungen vor einem Referendum ihrer eigenen Wählerschaft verkaufen. Doch die wird mit dem, was im Angebot ist, genausowenig zufrieden sein wie Sinn Féins Basis. Klinkt sich Sinn Féin nun aus den Gesprächen aus und entwickelt von außen ihre – gewaltfreie – Alternative weiter, so wird sie der SDLP im nationalistischen Lager schnell den Rang ablaufen. Das wäre das Szenario, das die beiden Regierungen mehr als das Ende des IRA-Waffenstillstands fürchten. Ralf Sotscheck
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