■ Nordirland: London will Friedenverhandlungen ohne Sinn Féin: Die Katholiken im politischen Abseits
An Nordirlands Rundem Tisch werden offenbar immer mehr Plätze frei. Erst hat man die loyalistische UDP von den Friedensgesprächen ausgeschlossen, weil ihr bewaffneter Flügel drei Katholiken erschossen hat. Nun soll Sinn Féin, so hat es London gestern angekündigt, für ein paar Wochen in der Ecke stehen, weil ihr militärischer Arm, die IRA, einen Drogenhändler und einen Loyalisten ermordet haben soll. Und daß sie es war, daran bestehen kaum Zweifel.
Die Frage ist, warum sie es getan hat. Der Drogenhändler war ein Verrückter, der voriges Jahr das Sinn- Féin-Büro mit Gewehr und Handgranate angegriffen hatte. Sein Tod allein hätte vermutlich nicht zu Sinn Féins Ausschluß geführt. Beim Mord an dem Loyalisten liegt die Sache anders. Er soll einer der führenden Köpfe hinter der gewaltsamen Vertreibung von Katholiken aus Teilen Süd-Belfasts gewesen sein. Bei einer von Sinn Féin organisierten Demonstration im Januar forderten viele Rache, und es sind Wandmalereien aufgetaucht, in denen der IRA Feigheit vorgeworfen wurde. So sollte die Tat womöglich die Gemüter beruhigen, nicht zuletzt in der IRA.
Merkwürdig nur, daß das Fluchtauto nicht verbrannt wurde, so daß der Polizei Indizien in die Hände fielen, die auf eine IRA-Beteiligung hinwiesen. Das deutet auf andere Gründe für die beiden Morde hin. Bei den Friedensverhandlungen wurde in den vergangenen Wochen immer deutlicher, wohin der Hase läuft: Eine nordirische Versammlung soll einer der Eckpfeiler für die künftigen Strukturen der Krisenprovinz werden. Eine solche interne Lösung hätte die Sinn-Féin-Führung in den katholischen Ghettos jedoch niemandem schmackhaft machen können. Die Morde sollten vielleicht für einen Abgang Sinn Féins aus der Verhandlungsrunde sorgen, ohne daß man der Parteidelegation vorwerfen kann, die Brocken hinzuschmeißen.
Das Mittel dazu war allerdings ein Eigentor. Man muß jetzt nicht nur mit loyalistischen Vergeltungsschlägen rechnen – die IRA hat auch dem Unionistenchef David Trimble eine große Freude bereitet. Schließlich hatten die Regierungen in London, Dublin und Washington ihn bedrängt, endlich direkte Gespräche mit Sinn Féin aufzunehmen. Das hätte ihm im eigenen Lager viel Ärger eingebracht, der ihm nun wahrscheinlich erspart bleibt. Statt dessen kann Trimble in aller Ruhe mit den katholischen Sozialdemokraten einen Deal machen. Und Sinn Féin sitzt währenddessen in politischer Quarantäne. Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen