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■ Nordirland: Der Oranier-Orden verzichtet auf seine MärscheEine Atempause

Plötzlich ging es doch: Der protestantische Oranier- Orden hat seine für heute geplanten Paraden durch katholische Wohngebiete in Nordirland abgesagt. Die Situation ist vorerst entschärft, Nordirland hat die so dringend benötigte Atempause.

Mehr als das ist es bisher allerdings nicht. Wer jetzt den bevorstehenden Frieden bejubelt, ist voreilig. Die Entscheidung ist nämlich kein Präzedenzfall. In Derry hatte man 1996 ebenfalls eine Parade abgesagt und war ein paar Wochen später doch marschiert. Auch diesmal haben sich die Oranier-Logen dieses Recht vorbehalten. Ob sie davon in einer Woche, in einem Monat oder erst im nächsten Jahr Gebrauch machen, weiß niemand.

Es kommt jetzt darauf an, wie die einfachen Logen- Mitglieder reagieren. Die Paraden sind über ihre Bowlerhutköpfe hinweg abgesagt oder umgeleitet worden – das zeigten die wütenden Äußerungen nach Bekanntgabe der Entscheidung. Seit mehr als einem Jahr deutet vieles auf eine Spaltung des Oranier-Ordens hin. Ein radikaler Teil wird künftig wohl seinen eigenen Weg gehen. Aber auch bei dem gemäßigteren Teil bedeutet der Verzicht keine geläuterte Einsicht in den provokanten Charakter dieser Paraden. Es sind eben keine religiösen und unpolitischen Festumzüge, wie die Oranier weiszumachen versuchen, sondern Triumphmärsche, die die protestantische Vormachtstellung in Nordirland zelebrieren. Und das ist ihre aktuelle Bedeutung.

Denn solange es keine Gleichstellung der beiden Bevölkerungsgruppen in Nordirland gibt, sind die Paraden kein harmloser Ausdruck der Oranier-Kultur, sondern Säbelrasseln, um den Status quo zu befestigen. Die Märsche sind nicht die Ursache, sondern ein Symptom des Konfliktes. Wenn man für diesen Konflikt eine politische Lösung findet, werden auch die Paraden kein Streitpunkt mehr sein – egal wo sie langführen.

Das soll die Entscheidung des Oranier-Ordens nicht schmälern. Für ihren Verzicht auf die umstrittenen Paraden gebührt ihnen Anerkennung – vor allem, weil es ihnen keiner zugetraut hätte. Wenn die paramilitärischen Organisationen und die Politiker beider Seiten nun ebenfalls über ihre Schatten springen, könnte die Atempause vielleicht der Beginn für echte Verhandlungen sein. Ralf Sotscheck

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