: Norddeutsche tanzen super
■ Coco Mbassi trat höchst bewe-gungsanimativ im Schlachthof auf
Mit der Tanzunlust des norddeutschen Publikums hatte die Sängerin aus Kamerun offensichtlich nicht gerechnet. „You may dance!“ rief sie der ihr durchaus freundlich geneigten ZuhörerInnenschaft zu, wobei es deutlich war, dass sie diese Erlaubnis sonst nicht geben musste.
Aber fast alle Bremer Roots Nights Gäste blieben lieber sitzen, und nur eine Handvoll junger Abenteurer traute sich am Rande der Bühne mehr oder weniger rhythmische Bewegungen zu, bis Coco Mbassi, zwar im Scherz aber immerhin, mit Streik drohte: „Have You ever seen a singer on strike?“ Ja, und zwar ganze leidvolle Konzerte lang. Aber das gehört nicht hier her, denn Coco Mbassi würde nie dem Publikum ihre Stimme verweigern, oder auch nur „Gesang nach Vorschrift“ praktizieren. Denn sie ist eine von den Sängerinnen, bei denen man sofort merkt, wie gerne und leidenschaftlich sie auf der Bühne stehen und sich mit ihrer Stimme ausdrücken.
Ella Fitzgerald ließ sich noch schwer zuckerkrank und mit amputierten Beinen vor ihr Publikum schieben – Chaka Khan sagte einmal, für sie sei das Singen so unverzichtbar wie der regelmäßige Gang auf die Toilette. So undamenhaft würde sich Coco Mbassi wohl nie ausdrücken, und auch die Vergleiche mit Ella und Chaka würde sie wahrscheinlich bescheiden ablehnen, aber von der Passion, der Stimme und dem Ausdruck her singt sie durchaus in der gleichen Liga. Nur sie hat nun rein gar nichts von einer Diva.
Statt dessen wirkt sie sehr natürlich und unaffektiert, fast ein wenig leutselig in ihren Ansagen, die sie übrigens in Englisch mit ein paar Brocken in erstaunlich gutem Deutsch machte. Auch an ihrem Gesang wirkt nichts forciert, die Stimme klingt kraftvoll, warm, voll und ausdrucksstark. Da machte es gar nichts aus, wenn alle Lieder in ihrer afrikanischen Heimatsprache gesungen wurden.
Fast waren sogar ihre Erklärungen vorher überflüssig, denn die Emotionen wurden bei jedem Song deutlich – ob sie nun von den Säuferschicksalen ihrer Freunde sang oder davon, dass die Reichen und Mächtigen die Köpfe nicht so hoch tragen sollten, denn auch für sie geht es einmal wieder bergab.
Ihre von den Texten her sehr persönlichen Lieder kommen musikalisch als eine Mischung aus Pop und afrikanischen Liedformen daher. Mit Bassisten, Schlagzeuger und einem Keyboarder, dessen Marimba- und Gitarrensounds dann doch etwas zu synthetisch klangen, war die Musik eher minimalistisch arrangiert.
Dafür leistete sich Coco Mbassi, die selber Background-Vocals bei Alif Keita, Dee Dee Bridgewater und Manu Dibango gemacht hat, eine Begleitsängerin, die schon rein optisch als elfenhafter französischer Teenager einen Kontrapunkt zu der eher robusten Afrikanerin setzte. Ihre etwas höhere, klare, luftige Stimme gab einen reizvollen Kontrast zu Cocos körperlichem, erdigem Klang.
Dies war kein gänzlich gelungenes Konzert, und zwar nicht nur, weil die Bremer nicht tanzen wollten. Es gab technische Probleme: der Verstärker des Bassisten knackte und ein Mikro fiel wiederholt aus. Außerdem haute der Pianist ein paar mal empfindlich daneben, aber all das konnte die wohlig angenehme Grundstimmung des Abends nicht verderben. Man fühlt sich einfach besser, wenn man Coco Mbassi singen hört. Auch wenn man hierzulande dabei lieber sitzen bleibt.
Wilfried Hippen
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