: Noppers Neue
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper traut sich was: Er macht eine SWR-Kulturjournalistin zu seiner Sprecherin, der die Bühne vertraut ist. Über wem leuchtet dann der Stern des Südens?
Von Josef-Otto Freudenreich↓
Es darf angenommen werden, dass Fritz Kuhns Sprecher nicht sehr darunter gelitten hat, dass er keine Wunderkerzen anzünden durfte. Bekanntlich war der frühere Stuttgarter Oberbürgermeister eher der zurückhaltende Typ, was Feuerwerke anbelangte, und Andreas Scharf kam damit gut zurecht, weil ihm das Gediegene auch lieber war. Insofern haben die beiden zusammengepasst, woraus über die Jahre allerdings eine gewisse Langeweile in der Stadt entstand, die immer häufiger nach Spektakulum verlangte. Dann ging der grüne Fritz, mit ihm sein Scharf, schließlich kann ein Sprecher nicht für jeden sprechen.
Es folgte Frank Nopper. Das schwarze Gegenmodell. In Backnang hatte er die Dinge weitgehend alleine geregelt, aber das war in der Landeshauptstadt unmöglich, weil fast jedes von vielen Dingen eine Chefsache wurde: Klettern im Metropol, freilaufende „Querdenker“, unordentliche Jugendliche, nicht gehisste Regenbogenfahnen, ein renitenter Bildhauer, der sein S-21-Denkmal nicht verrücken wollte. Zu allem sollte er sich äußern, ohne vertrauten Kommunikator, was ihm offenbar so gefährlich erschien, dass Gefragtes und Geäußertes der Schriftform bedurfte. Kontext hat damit so seine Erfahrungen gemacht. Andere auch.
Verschärfend kam des Schultes’ Versprechen hinzu, aus Stuttgart einen „leuchtenden Stern des Südens“ zu machen, woraus sich mancherlei Widersprüchlichkeiten ergaben, die nur schwer zu vermitteln waren. Es heißt, Nopper versuche es über zwei Journalisten der StZN, den Lokalchef Jan Sellner und den Gesellschaftsreporter Uwe Bogen. Aber das ist natürlich keine Lösung auf Dauer.
Jetzt hat er eine Kommunikatorin gefunden: Susanne Kaufmann, 54, Leiterin des SWR-Magazins „Kunscht!“ und der SWR2-Kulturredaktion Baden-Württemberg. Zum 1. September tritt sie ihr Amt an, als Vorsteherin einer 50-köpfigen Abteilung und her masters voice. Unbefristet und unbelastet von der Frage, ob so ein Seitenwechsel in Ordnung ist. Das mag zunächst erstaunlich klingen, gilt das Personal aus dem Feuilleton doch gemeinhin als links(liberal) und regierungskritisch, eine Einschätzung bis hinein in die SWR-Chefredaktion, die „am Spielfeldrand“ steht und sich verwundert die Augen reibt. Aber das ist altes Denken.
Bei ihrem Besuch in der Kontext-Redaktion erzählt sie, dass ihr künftiger Vorgesetzter „keine parteipolitischen Scheuklappen“ trage, genauso wenig wie sie, die aus Prinzip keiner Partei angehöre. Und, ganz ehrlich, beide könnten doch Kanzler, Laschet und Baerbock, alle seien doch gute Oberbürgermeister, der Arnold in Schwäbisch Gmünd, der Klopfer in Schorndorf, der Palmer in Tübingen, und eben Nopper in Stuttgart. Alles eine Linie. Außerdem werde man im Alter konservativer.
Nun erklärt diese Kompatibilität den Wechsel noch nicht. Beim SWR ist’s doch auch schön. Als festangestellte Führungskraft zumal, abseits von drangsalierenden Rechenschiebern und Quotenfetischisten, bekannt in Stadt und Land als ausgewiesene, breit aufgestellte Moderatorin, die „Krawallnächte“ ebenso zum Thema hat wie Sex im Alter. Es sei das Neue, sagt sie, 23 Jahre SWR seien genug, was nachzuvollziehen ist, andererseits plagt sie der Abschiedsschmerz, den Pförtner eingeschlossen. Es wäre viel einfacher gewesen, zu bleiben als zu gehen, seufzt sie, aber der Schnitt müsse sein, ohne Rückkehrrecht, ohne Kritik an dem Sender. Kein böses Wort über die Anstalt. Das ist klug, weil die Anstalt sonst böse ist.
Auch der MP-Sprecher hat schon gratuliert
Aber was ist das Neue? Noch einmal am Rädchen drehen, den Wirkungsgrad austesten, in der Rolle der Stadtsprecherin auf dem gesellschaftlichen Parkett glänzen? Mag aufregender sein als die Kantine im Funkhaus. Neu ist Nopper. Er hat sie eingeladen, nachdem sie sich um den Job beworben hatte, und er hat einen guten Eindruck hinterlassen. Er sei eine „absolut integre Persönlichkeit“ und „menschlich sympathisch“, betont sie, ihn als „Provinzheimer“ zu bezeichnen sei „despektierlich“, mit ihm zu arbeiten eine Freude. Ein erster Pinselstrich an einem neuen Bild, eine erste Warnung an die Kritiker.
Die Aufgabe? Stuttgart sei eine „unglaublich lebenswerte und liebenswerte Stadt“, versichert sie im kommunalen Pressedienst, medial unterschätzt in Berlin und Hamburg, schiebt sie gesprächsweise nach, weil in „vielen Punkten spitze“.
Nicht nur beim Auto. Auch bei der Integration. Was für eine Leistung, für sie nahezu ein Alleinstellungsmerkmal, jedenfalls kaum etwas Vergleichbares in anderen deutschen Großstädten zu entdecken. So viel kultureller Reichtum, der nur noch „mehr Sichtbarkeit“ braucht. Vorzüglich, dass der OB an ein Haus der Kulturen denkt. „Absolut okay“ auch seine Metapher vom „leuchtenden Stern des Südens“. Die rasende City-Tour der gebürtigen Bochumerin machte schier schwindlig, wäre sie nicht von einem aufmunternden Lächeln begleitet. Ja, daran sollten wir arbeiten. Der Schalter ist umgelegt.
Landläufig würde sie wohl als Power-Frau bezeichnet, karrierebewusst, zielstrebig, Mutter zweier Töchter, zwölf und 16 Jahre, die Ältere im Jugendstadtrat. Sie selbst, ausgestattet mit einem strammen Ego, nennt sich konstruktiv, qualitäts- und zielorientiert, bewegt sich souverän in der Stuttgarter Society, könnte sich auch vorstellen, als Regierungssprecherin zu wirken, nur nicht als Verkäuferin eines banalen Produkts.
Aber der OB von Stuttgart kommt eigentlich gleich nach dem MP, und dessen Sprecher Arne Braun hat auch schon zum Wechsel gratuliert, auf eine weitere vertrauensvolle Kooperation bauend. Der frühere „Lift“-Chefredakteur war einer unter 174 Glück Wünschenden auf Facebook, deren Botschaft frau so zusammenfassen könnte: Großer Verlust für den SWR, großer Gewinn für die Stadt. Wer sie hat, die fleißige Netzwerkerin, hat auch ein Telefonbuch. Mit vielen wichtigen Namen drin.
Das kann spannend werden. Normalerweise verschwinden die SprecherInnen hinter ihren Meistern. Oder kann jemand noch die Namen in der Schuster-Ära hersagen? Stephan Schorn, Markus Vogt, Katrin Lebherz (sechs Wochen). Die Profis lassen ihren Dienstherren den ganzen Ruhm, verlagern ihre Verdienste ins Stille, oder, wenn’s nicht geklappt hat, ins Massieren von JournalistInnen, die das Funktionieren verhindert haben. Letzteres ist natürlich nur der Worst Case, insbesondere für jemanden, der „strategisch und konzeptionell denkt“, langjährige Erfahrung beim SWR einbringt und mit der Medienlandschaft „bestens vertraut“ ist, wie Nopper über seine neue Mitarbeiterin sagt. Insoweit eine wirkliche Hilfe für den Backnanger – wenn sie in der zweiten Reihe mitspielt.
Es besteht Anlass zur Hoffnung. Trotz ihrer Abneigung gegen Festzelte, aber auf der Basis ihres stabilen Selbstbewusstseins („mich schreckt nichts“), kündigt die promovierte Kunsthistorikerin bereits heute an, mit „großem Vergnügen“ zum Fassanstich auf den Wasen mit zu gehen. Dort ist der OB der Star. Auf einen Schlag.
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