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Nominierte 2008

Nominierte 2008: Mariam Notten Abitur in Afghanistan

Mit ein paar tausend Euro am Leib reiste Mariam Notten nach Nimroz und gründete eine Schule

Bild: Anja Weber

Auf Demonstrationen griff Mariam Notten zum Megafon, gab unzählige Interviews im Radio, im Fernsehen, in den Zeitungen – damals, im Herbst 2001. Sie war empört: Ausgerechnet die Amerikaner, die die Taliban zu menschlichen Kampfmaschinen hatten ausbilden lassen, spielten sich nun als Befreier Afghanistans auf. Mariam Notten wollte klarmachen, was die „bedauerlichen Kollateralschäden“ des Krieges tatsächlich waren: Tausende von toten und verletzten Menschen. „Und irgendwann war ich des Sprechens müde,“ berichtet die zierliche Frau mit dem roten Schimmer im schwarzen Haarschopf.

30 Jahre lang war Mariam Notten nicht mehr in ihrer Heimat gewesen, als sie im Jahr 2002 allein neben einem Kontrollhäuschen an der Grenze zwischen Iran und Afghanistan stand und auf eine staubige, von Panzerspuren zerfurchte Wüste blickte. An den Bauch gebunden trug sie ein paar tausend Euro, die sie bei Freunden und Bekannten in Berlin gesammelt hatte. Eine Schule sollte damit entstehen, so ihr Plan, schließlich hatten Mädchen in Afghanistan seit der Herrschaft der Taliban keine Chance mehr gehabt, lesen und schreiben zu lernen.

Die südwestliche Provinz Nimroz erschien Mariam Notten nach langen Gesprächen mit alten Weggefährten aus dem Widerstand als der geeignetste Ort für ihr Vorhaben: Die öde Region galt als das heiße Sibirien Afghanistans. Dorthin waren viele freiheitsliebende Regimekritiker verbannt worden, manche Menschen hatte es wegen des etwas liberaleren Geistes auch freiwillig dahin gezogen. Für Frauen sah es in der Region nicht ganz so schwarz aus wie in den übrigen Landesteilen.

Lachend beschreibt die 61-Jährige ihr Selbstmitleid, als sie mit ihrem Koffer in der Geröllwüste wartete. Mariam Notten ist eine witzige Erzählerin, und wenn sie Orte, Menschen und Situationen schildert, entstehen sofort Bilder, Gerüche, Geräusche. Zwei Wochen hatte sie für ihre Reise eingeplant - nicht viel Zeit angesichts der Tatsache, dass sie niemanden in der Provinz persönlich kannte. In einer Siedlung am Rande der Provinzhauptstadt Sarandsch überzeugte sie sofort zwei Bewohner, ihr ein Grundstück für das Projekt zu schenken. Dann ging sie zum Gouverneur und nannte ihre Bedingungen: Kein einziger Cent darf für die Verwaltung des Geldes draufgehen, kein Cent als Schmiergeld gezahlt werden. Außerdem muss die Provinzregierung noch einmal ein Drittel des von ihr mitgebrachten Betrages drauflegen. Der Mann war einverstanden. Noch vor ihrer Abreise zeigte das Lokalfernsehen die Feier mit dem ersten Spatenstich: Jeder Zuschauer wusste nun, wie viel Geld für das Projekt zur Verfügung stand.

Seither fährt Mariam Notten jedes Jahr nach Nimroz. Inzwischen unterrichten 50 Lehrer etwa 2.000 Kinder im Dreischichtenbetrieb - Jungen und Mädchen, was in Afghanistan einmalig ist. Eine weitere Schule ist entstanden, ein Waisenhaus und zwei Frauenbäckereien. Auch Kleinkredite für Frauen, Alphabetisierungskurse in Kabul sowie Bücher für zwei Bibliotheken finanzierte ihr Verein in den vergangenen sechs Jahren. Nach der Heimkehr schickt Mariam Notten den Spendern jedes Mal ausführliche Berichte, die auch Rückschläge nicht verschweigen; das Porto und die Reisekosten zahlt sie aus dem eigenem Portemonnaie.

Mariam Notten ist eine spontane, witzige Frau mit Sinn für Ironie. Seit 18 Jahren unterrichtet sie an einer Fachschule für Sozialpädagogik Soziologie. Wenn sie in drei Jahren in Deutschland pensioniert wird, will sie am liebsten weiterarbeiten - in ihrer alten-neuen Heimat Afghanistan. Sie hofft, dass es dort nicht noch gefährlicher wird. Bis vor Kurzem schien die Situation in Nimroz ruhig, doch in diesem Jahr hat es auch dort schon sieben Selbstmordanschläge gegeben. Erst vor zwei Wochen wurde der junge Mann getötet, der sie bei ihren Besuchen immer durch die Gegend gefahren hat. Auch seine Frau und sein kleines Kind kennt sie; Mariam Notten muss schlucken, wenn sie an die junge Familie denkt.

Mariam Notten kennt die Gefahr, die von Fundamentalisten und Kriegsverbrechern ausgeht. "Ohne Unterstützung kann man da nicht lange überleben." Deshalb steht Mariam Notten Menschen wie Malalai Joya finanziell bei, die als Parlamentsabgeordnete mutig die Drogenbarone und Warlords in der afghanischen Regierung angegriffen hat und sich nun dauernd verstecken muss. Auch ein junger Journalist, der über Korruption und Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan berichtet hat und danach fliehen musste, kann auf ihre Unterstützung bauen. Und für die Kosten einer Dokumentation von Kriegsverbrechen, die eine Frauenorganisation gesammelt hat, kommt Mariam Notten ebenfalls gerne auf.

Sie ist ein Mensch, der sich nicht abfinden kann. Doch wenn wie im letzten Jahr mehrere hundert Schulen von Taliban zerstört wurden, dann steht auch sie machtlos davor. Zum Glück ist so etwas in Nimroz noch nicht vorgekommen. Und neben all dem Elend gibt es auch Positives zu vermelden: 56 Mädchen aus ihrer Schule besuchen jetzt die Sekundarstufe und wollen Abitur machen. Und wenn Mariam Notten den taz-Panterpreis gewinnt, dann wird sie eine dritte Schule aufbauen. Den Standort hat sie schon ausgekundschaftet .

Kontakt: www.afghanistan-nimroz.de

Annette Jensen