: Noch zahlreiche NS-Verfahren anhängig
■ Über 21.000 mutmaßliche Nazi-Verbrecher bisher ohne Prozeß/ Seit Kriegsende 6.487 Täter verurteilt
Ludwigsburg (ap) — Rund 47 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind in Deutschland noch Verfahren gegen über 21.000 Personen wegen Nazi-Verbrechen anhängig, doch wird es aller Voraussicht nach nur noch zu wenigen Prozessen kommen. Wie die Landesjustizverwaltungen in der gestern veröffentlichten Statistik mitteilten, sind bisher 6.487 NS-Verbrecher rechtskräftig verurteilt worden.
Die Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen gab im einzelnen bekannt, daß am 1. Januar 1992 Verfahren gegen insgesamt 21.700 Personen bei deutschen Staatsanwaltschaften und Gerichten im Gange waren. Der Leitende Oberstaatsanwalt Alfred Streim, Leiter der zentralen Stelle, erläuterte, diese hohe Zahl beruhe vor allem darauf, daß immer noch Fahndungslisten der einstigen Kriegsverbrecherkommission der Vereinten Nationen ausgewertet würden, die seine Behörde erst vor wenigen Jahren erhielt. Bei den weiteren Ermittlungen stelle sich dann aber jeweils heraus, daß viele der Genannten inzwischen gestorben seien. Es gilt als sicher, daß nur noch in wenigen Fällen auch tatsächlich Prozesse folgen werden. Gegenwärtig sind in der Bundesrepublik zwei Hauptverhandlungen gegen mutmaßliche NS-Verbrecher im Gange.
Die zentrale Stelle selbst hat seit Beginn ihrer Tätigkeit im Dezember 1958 insgesamt 6.641 Vorermittlungsverfahren „gegen eine nicht genau feststellbare Zahl von Verdächtigen“ eingeleitet. Davon seien bis Ende 1992 schon 6.575 erledigt worden, womit noch 66 Verfahren anhängig seien. Insgesamt haben deutsche Staatsanwaltschaften seit 1945 Ermittlungen wegen nationalsozialistischer Verbrechen eingeleitet, die sich gegen 103.823 Personen richteten. Von den 6.487 rechtskräftig Verurteilten erhielten 163 lebenslange und 6.197 zeitlich begrenzte Freiheitsstrafen. Die übrigen wurden zum Tode — so lange es diese Strafe in der Bundesrepublik noch gab — oder zu Geldstrafen verurteilt. In 91.463 Fällen wurden die Verfahren ohne Bestrafung abgeschlossen: durch Freispruch, durch Tod der Beschuldigten oder aus anderen Gründen. Streim sagte, beim Zahlenvergleich sei zu berücksichtigen, daß die Staatsanwaltschaften oft zunächst gegen ganze Einheiten oder Dienststellen ermittelt hätten und daß eine förmliche Beschuldigung in früheren Jahren erforderlich gewesen sei, um die Verjährungsfrist zu unterbrechen.
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