Rückbau von Atomkraftwerk: Mehr Strahlung als erwartet
Der Rückbau des Atomkraftwerks bei Greifswald verzögert sich, die Kosten explodieren: Die Anlage ist stärker kontaminiert als erwartet.
Seitdem wird zurückgebaut, Ziel ist eine „grüne Wiese“. Doch das erweist sich als ausgesprochen schwierig, wie neue Verzögerungen zeigen: Nicht wie ursprünglich geplant 2028 werden die Arbeiten fertig, sondern erst in den 2040er Jahren, wie der Geschäftsführer des zuständigen bundeseigenen Entsorgungswerks für Nuklearanlagen (EWN) gegenüber dem NDR bestätigte.
Damit wird der Rückbau mehr als viermal so lange dauern, wie die Reaktoren in Betrieb waren. Grund dafür sei eine stärkere radioaktive Kontamination als zunächst vermutet. Zudem hatte der Bund 2022 (EWN) die Mittel gekürzt. 80 Mitarbeiter mussten entlassen werden. Statt der geplanten 6,6 Milliarden Euro werden jetzt Kosten von 10 Milliarden erwartet.
Verzögerungen und damit Kostensteigerungen wie in Lubmin sind kein Einzelfall. Das 2005 vom Netz genommene AKW Obrigheim am Neckar sollte ursprünglich im kommenden Jahr zurückgebaut sein, jetzt heißt es, die Arbeiten könnten Anfang der 2030er Jahre beendet werden.
In Schleswig-Holstein wurden Server zum Problem
„Die größte Herausforderung beim Rückbau ist die Logistik“, erklärt Jörg Michels, Geschäftsführer der EnBW Kernkraftwerke GmbH. Der Abbau von Systemen, deren Dekontamination und Entsorgung, dies sei von den Konzernen auch im Leistungsbetrieb bereits gemacht worden.
„Beim Rückbau fallen aber deutlich größere Massen an“, sagte er dem SWR. In Obrigheim wird kalkuliert, dass 275.000 Tonnen Material anfallen werden.
In Schleswig-Holstein stockt es bei den Zuverlässigkeitsüberprüfungen des Fachpersonals. Grund ist dort eine Serverpanne, wie eine Kleine Anfrage der FDP ergab: Seit April 2024 waren 824 Anträge von den Betreibern der Atomkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf gestellt worden, über lediglich 17 wurden entschieden.
„Seit dem Ausfall des Servers kam es zu Verzögerungen, da der gesicherte Kommunikationsweg mit den abzufragenden Behörden nicht mehr zur Verfügung stand“, erklärt das Energieministerium. Mittlerweile sei das Problem zwar behoben, trotzdem sorgt die Panne für Frust in den Kraftwerken: ohne Mitarbeiter:innen kein Rückbau.
AfD verunsichert Betreiber
An den westdeutschen Standorten müssen die Betreiber der AKWs für die Kosten des Rückbaus einstehen, dafür mussten sie entsprechende Rückstellungen bilden. An den ostdeutschen Standorten Lubmin und Rheinsberg ist das aber anders: Hier wird der Rückbau mit Steuergeld finanziert.
Dazu kommen politische Unwägbarkeiten: Die AfD hatte Ende Mai einen Antrag auf ein Moratorium für den Rückbau der AKWs in den Bundestag eingebracht, der die Abschaltung als „energie- und volkswirtschaftlichen Fehler“ bezeichnet und einen Stopp der Arbeiten fordert.
„Der unmittelbar nach der Abschaltung initiierte Rückbau der Kernkraftwerke ist dabei, vollendete Tatsachen zulasten der Energieversorgung Deutschlands zu schaffen“, heißt es zur Begründung. Der Antrag wurde an den Umweltausschuss des Bundestages überwiesen, was die Planungssicherheit bei den Arbeiten nicht erhöht.
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