Noch mehr Fluglärm: „Die Doofen sind wir“
■ Das neue europäische Luftstraßennetz bringt auch für Bremen mehr Jets
Über den Wolken mag die Freiheit grenzenlos sein, wer unter Stratus und Kumulus wohnt, dem fällt oft die Decke auf den Kopf. Mit 40 000 Fluglärmgeschädigten rechnet die Vereinigung zum Schutz Fluglärmgeschädigter (VSF) allein in Bremen.
Und es kommt noch dicker: Ab morgen düsen Jets und Jumbos europaweit auf neuen Routen. Die Stufe III der so genannten „Luftraumstrukturänderung“ tritt in Kraft: Jets und Jumbos werden auf dem gesamten Kontinent auf neuen „Straßen“ durch die Luft düsen, um den Verkehr zu entzerren, Verspätungen zu vermeiden und – vor allem –, um Platz für noch mehr Flieger zu schaffen. Das heißt für Klaus Rudolph von der VSF auch in Bremen „noch mehr Krach als jetzt. Ich fliege aber heute schon nachts oft genug aus dem Bett.“ Ihm graut vor dem neuen Netz in der Luft, auch wenn die Routen um Bremen gleich bleiben sollen.
Rudolph ist nicht allein: In der Nähe von Frankfurt gab es schon die ersten Demos gegen die neuen Luftstraßen. Und auch in Bremen werden sich die Kapazitäten im Flugverkehr kurz- und mittelfristig drastisch erhöhen: Möglich machen's die Spottpreise für Flüge nach Mallorca oder in die Türkei. Und die neuen Flugwege. Deutschlandweit rechnen Experten mit einer Steigerung des Flugaufkommens von jährlich fünf bis sechs Prozent, die Flughafen Bremen GmbH freut sich über immer neue Rekordergebnisse. Im vergangenen Jahr stiegen in Bremen 1,9 Millionen Fluggäste ein und aus, bis 2010 sollen es satte 50 Prozent mehr sein.
Rudolph wohnt zwei Kilometer vom Fluggeschehen entfernt: „Zurzeit sind es 140 Starts und Landungen täglich. Nachts werde ich bis zu zwölf Mal durch den Lärm geweckt, wenn ein Flieger über mein Haus brettert, muss ich jede Unterhaltung unterbrechen. Die Doofen sind wir: Die, die in der Nähe des Flughafens wohnen!“
Dabei könnte der Lärm erträglicher sein, wenn sich die Piloten beim An- und Abfliegen genau an die vorgegebenen Schneisen halten würden. Rudolph klagt: „Die Crews benutzen nicht das Satellitenortungssystem GPS, das ihnen das punktgenaue An- und Abfliegen des Flughafens über das Gewerbegebiet Habenhausen ermöglichen würde. Stattdessen donnern die schwer bepackten Touristenbomber in 500 Metern Höhe über Huckelriede, Habenhausen Nord, Hemelingen und Osterholz.“
Die Fluglotsen sehen das anders. „Die Piloten können mit der Technik von heute praktisch jeden Flughafen der Welt ohne Abweichung strichgerade anfliegen. Bloß: Wenn sie das tun, kracht es immer über den gleichen Anwohnern“, sagt Axel Raab von der Deutschen Flugsicherung. Also: Die Piloten schweben – zum Leidwesen aller Anwohner – mal so, mal so nach Bremen ein und aus.
Außer mehr Lärm wird es am Donnerstag auch noch mehr Verspätungen im Flugverkehr geben: „Durch die Einführung des neuen Systems erwarten wir Verspätungen bei allen Flügen, auch von und nach Bremen“, kündigt die Deutsche Flugsicherung an. Und bittet deshalb alle Passagiere, sich vor dem Abflug mit ihrer Airline in Verbindung zu setzen. ksc
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