■ Noch fehlt uns die Sprache...: Abwicklung einer Schwangerschaft
In der Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg wurde entschieden, den Körper einer hirntoten Frau zur Austragung ihrer Schwangerschaft zu nutzen. Damit diese Schwangerschaft fortbesteht, wird die Hirntote künstlich beatmet, intravenös ernährt und wie eine lebende, vermeintlich tiefschlafende, Patientin versorgt. Angeschlossen an einer Herz-LungenMaschine, die ihren Blutkreislauf aufrechterhält, verkörpert die Hirntote im buchstäblichen Sinne des Wortes den Funktionsraum einer Schwangerschaft, die erst im März kommenden Jahres vollendet sein wird. Über diese lange Zeit hinweg wird also Marion P. als „tote Patientin“ beziehungsweise leblose Schwangere künstlich am Leben gehalten.
Damit das Ungeborene diesen Zustand seiner Entwicklung überhaupt aushält, sind die Schwestern auf der Station gehalten, mit ihm zu sprechen, ihm Musik vorzuspielen und seine Mutter so zu bewegen, als befände sie selbst sich in der Schwangerschaftsgymnastik, während die „werdende Großmutter“, so der Herr Oberarzt, die „Funktion der Mutter übernehmen muß“ und hin und wieder den Bauch der Tochter streicheln soll, als sei es der ihre.
Damit auch das Recht zu seinem Recht kommt, beantragte zwischenzeitlich der Vater von Marion P. die Pflegevormundschaft für das Kind seiner Tochter, doch gab er bereits zu verstehen, daß er die Fortsetzung der Schwangerschaft nicht zulassen werde, „wenn das Risiko wächst, daß das Kind nicht gesund zur Welt kommen“ könne.
Mir stellt sich diese in der Tat groteske Situation folgendermaßen dar: Marion P., ein im Sterben begriffener Mensch, das Subjekt ihrer Schwangerschaft, wird infolge des erlittenen Partialtodes zu einem Ding degradiert, über das man verfügen darf, während das Ungeborene den Status einer Person erhält, dessen Leben man zu retten vorgibt. Und während sich eine Riege Entscheidungen anmaßender Männer – Ärzte, Juristen, Theologen – gegenseitig versichert, den „Behandlungsversuch mit unsicherem Ausgang“ rechtfertigen zu können und der Vater der Tochter das Kind – ja, genauso ist es! – in seine Vormundschaft nimmt, haben die Krankenschwestern und die Mutter die heilige Pflicht, aus der leblosen Schwangerschaft der Marion P. eine belebte zu machen, damit das Ungeborene nicht vor dem großen Tag an gebrochenem Herzen stirbt. Die „Utilisierung“ des menschlichen Körpers, nein: des Menschen schlechthin, hier wird sie uns exemplarisch und um den Preis eines Embryos vorgeführt.
Tatsächlich verfügen wir (noch) gar nicht über eine Sprache, die der Situation adäquat wäre, die zu erfassen imstande ist, was in der Universitätsklinik Erlangen-Nürnberg wahrhaftig vor sich geht. Die Zweifelhaftigkeit der Hirntod-Diagnose (der Hirntod wurde übrigens ursprünglich als Grenze definiert, von der ab es den ÄrztInnen erlaubt sein soll, den Menschen seinem Sterben zu überlassen), die den „Tod des Individuums“ umfassen soll, wird schon daran sichtbar, daß der Partialtod Partialleben ausdrücklich anerkennt. Insofern offenbart sich mit der geschilderten Situation das ganze Drama der Hirntod-Diagnostik: Hirntod als ein Moment im Sterben des Menschen, ein unumkehrbarer vielleicht, aber ein nicht vollendetes Sterben. Und wenn wir dem Gedanken überhaupt noch zu folgen vermögen, daß die Atmung die Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele herstellt, ist gewiß, daß diese Verbindung mit der künstlichen Beatmung aufrecht gehalten wird. Das aber bedeutet in der Konsequenz, daß das Ungeborene den Tod seiner Mutter erlebt hat und seine weitere Entwicklung in einem Zustand der Trauer verbringen muß, bis die Ärzte entscheiden, es auf die Welt zu holen. So etwas ließe sich zukünftig als Abwicklung von Schwangerschaft bezeichnen. Gisela Wuttke
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