: Nobelprämierte Ehekrise
■ Im Packhaustheater läuft mit „Offene Zweierbeziehung“ wieder ein Stück über das ewig aktuelle Thema
Was gibt es Neues vom Nobelpreisträger für Literatur? Man hat es ja schon fast wieder vergessen, aber vor vier Jahren erlaubten sich die Herren vom Preisgericht in Stockholm einen Scherz und prämierten einen absoluten Antikandidaten: den italienischen Stückeschreiber, Theatermacher und Linksradikalen Dario Fo.
Das nahm die literarische Welt je nach Humortoleranz amüsiert, irritiert oder empört zur Kenntnis, aber einen Boom seiner Stücke auf den Bühnen hat diese Heiligsprechung nun ganz bestimmt nicht ausgelöst. Im Pressematerial des Packhaustheaters zum Stück „Offene Zweierbeziehung“ wird der Nobelpreis überhaupt nicht erwähnt. Das Zielpublikum würde durch solche literarische Würden wohl auch eher abgeschreckt.
Das Packhaustheater hat sich in den letzten Jahren nämlich sehr erfolgreich eine Marktlücke im Theaterbetrieb gesucht: Ehekomödien. „Darum wird nach dem Happy End im Kino meistens abgeblendet“ sagte schon Erich Kästner, denn die grundlegende Frage, ob Männer und Frauen überhaupt zusammenpassen, stellt sich erst im Ehealltag, und die Antworten sind immer desillusionierend.
Das Regie-Duo Michael Derda und Andrea Kraule hat mit dem „klassischen Liebespaar für alle Lebenslagen“ Heidi Jürgens und Stefan Schneider schon einige Stücke inszeniert: „Traumfrau verzweifelt gesucht“, „Liebe, Sex & Therapie“, „Zurück zum Happy End“ und „Freunde, Frauen, Pinguine“ – die Titel sagen eigentlich schon alles, und es gibt ein treues Publikum, das für diese Unterhaltung, die offensichtlich die eigene Lebenssituation spiegelt, sehr empfänglich ist. Inzwischen spricht man von der „typischen Packhaustheater-Art“, und die meisten Vorstellungen sind ausverkauft.
Nun also ein Stück von einem weiteren „Theaterehepaar“, denn Dario Fo entwickelt seine Stücke im Spiel auf der Bühne, zusammen mit seiner Lebens- und Arbeitspartnerin Franca Rame. Die fertigen Stücke führen Fo und Rame dann auch selbst vor Publikum auf, sie sind also Autoren und Schauspieler zugleich. Bei „Offene Zweierbeziehung“ spielen sie dem Publikum eine „Ehekrise“ vor, stellen die eigenen Macken aus, improvisieren dazu noch gerne: Ein altes Ehepaar spielt ein altes Ehepaar, das ist fast schon Doku-Theater. Egal, wie fiktiv die Geschichte von der unglückichen Ehefrau und dem durch fremde Betten hüpfenden Gatten nun tatsächlich ist.
Entsprechend offen ist die Form: Beide Personen wenden sich direkt ans Publikum, spielen Szenen aus ihrer Ehe als kleine Sketche vor, treten dann für einen kurzen Kommentar wieder aus der Szene heraus. Das ganze erinnert stark an die Woody-Allen-Filme seiner mittleren Periode wie „Der Stadtneurotiker“ oder „Manhattan“ und mindestens eine Pointe haben beide auch direkt von Allen abgekupfert.
Wie gut reist nun so ein auf ein ur-italienisches Paar zugeschnittenes Stück? Erstaunlich gut, muss man bei der Vorstellung im Packhaustheater sagen. Vielleicht liegt es darin, dass das Publikum Heidi Jürgens und Stefan Schneider schon lange als Paar auf der Bühne kennt, aber sie wirken in den Rollen sehr natürlich und Heidi Jürgens hat das Publikum sofort auf ihrer Seite. Denn natürlich bekommen hier die Männer ihr Fett weg. Im Publikum lachen die Frauen viel öfter und lauter.
Das Stück ist eine Farce, ganz auf die Lacher hingeschrieben, aber Rame und Fo gehen nicht leichtfertig mit den Problemen um. Wenn die Frau sich umbringen will, gibt es darüber zwar einige tiefschwarze Gags, aber man kann auch durchaus nachvollziehen, wie aussichtslos ihr ihre Lage vorkommt. „Offene Zweierbeziehung“ ist Boulevard mit Biss. Und mit einigen schönen Unanständigkeiten: Ein Paar verließ empört die Vorstellung, als das Wort „Möse“ auf der Bühne fiel – bei solchen Reaktionen kann ein Stück nicht ganz schlecht sein.
Ach ja, die letzten Worte vor dem Schlussvorhang sind „Oh Scheiße“. Und das von einem Nobelpreisträger!
Wilfried Hippen
„Offene Zweierbeziehung“ läuft bis zum 31.3. täglich außer Montag im Packhaustheater. Bestellungen unter der Telefonummer 32 60 54.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen