Nixen im Thermalbad

■ Antonin Dvoraks Opern-Romanze „Rusalka“ in Oldenburg, ausgenüchtert von Wolfgang Lachnitt

Fährt man durch's Oldenburger Land, so möchte man kaum glauben, daß in diesen sorgsam kultivierten Wäldern, den sauber abgesteckten Feldern oder gar im planvoll angelegten Feuerwehrteich sich Wesen zauberhafter Natur tummeln. Den Raum für liebreizende Wassernixen, schmuddelige Wassermänner, lustige Elflein und keifende Hexen hat spätestens die letzte Flurbereinigung oder der Kampf um's schöne Dorf beseitigt. In Oldenburgs Staatstheateralso sollen die märchenhaften Gestalten sich geflüchtet haben, um mit viel hochromantischer Musikbegleitung Antonin Dvoraks letzte zauberhafte Oper „Rusalka“ zu geben.

Zarten Nebel über geheimnisvollem Bergsee, mondüberflutete Lichtungen im finsteren Buchenwald, stramme Jagersleut mit Märchenprinz und neckisch sentimentale Wasserbewohner gab es allerdings nur Sonntagabend im Kabelfernsehen in des unsäglichen Petr Weigls unsäglich werkgetreuer Inszenierung. Oldenburgs Regisseur Wolfgang Lachnitt hingegen verzichtet weitgehend auf Kitsch.

Das Verhältnis Natur — Mensch, Traum — Realität, Sehnsucht — Enttäuschung, Gefühl — Konvertion oder gar Böhmen — Habsburg bestimmt in der Regel den Interpretationsrahmen für Dvoraks Märchen von der Wassernixe, die sich aus der dunklen Geborgenheit ihres Tümpels hinaussehnt in die lichte, glänzende Welt der Menschen, trotz eindringlicher Warnungen ausbricht und betrogen vom geliebten Prinzen heimkehrt ins kalte Naß. Wolfgang Lachnitt erzählt uns, nicht immer konsequent, aber deutlich die Geschichte eines zum Scheitern verurteilten Ausbruchsversuches aus der Enge der kleinbürgerlichen Familie.

Des Bademeisters Töchterlein verläßt das heimische Thermalbad, um einem kurenden Hallodri in sein glitzerndes Wohlleben zu folgen. Der väterliche Bademeister, mit Melone, Weste, aber ohne goldene Uhrenkette ausreichend als treusorgender Hüter des Familienglückes charakterisiert, gibt zu bedenken, daß es zu Hause doch am Besten sei. Die aufgetakelte Mutter stattet das Töchterlein widerwillig zwar, aber nicht ohne Stolz mit dem nötigen know how aus. Im Grand Hotel zu Karlsbad begegnet das Töchterlein wehr-weil sprachlos der kalten, schlüpfrigen Großen Welt. Verstoßen vom Hallodri holt der rührende Vater sie zurück. Dankbar ist das Töchterlein, doch packt sie alsbald die alte Sehnsucht.

Solcheraßen vom Jahrhundertwendekitsch entkleidet, gewinnt „Rusalka“, von Dvorak reichlich mit süßester Lyrik und drastischen Gepolter ausgestattet, Tiefe und Schärfe. Hörnerschall und Harfengeklimper, Trompetengeschmetter und neckisches Holzbläsergedudel, auf das virtuoseste vom Komponisten gesetzt, verlieren ihren platt-illustrativen Charakter. Wir hören es als Sehnsüchte, Projektionen, Illusionen. Hinter der Schönheit der Musik wird überraschend Wahrheit spürbar.

In einzelnen Bildern gelingt dies der Inszenierung überzeugend: Wenn des Baderaums Rückwand sich (leider leicht quietschend ) öffnet und der Jägersbursch im Urlaubergewand sein Jagdlied aus einem Buch vorliest, wenn Rusalka, wieder von den heimischen Wänden umschlossen, auf ihren Kinderstuhl steigt, um doch wieder nach draußen zu sehen, wenn sie, ihre Schuhe wegwerfend sich in die Arme des gramgebeugten Väterchens wirft, stellen sich die auf der Opernbühne seltenen Momente glückhaften Gelingens ein.

Sabine Paßow, im Zentrum der Aufführung stehend, zeigt uns eine kindlich-schwärmerische Rusalka. Emil Gherman legt etwas zu viel italienischen Schmelz in seine Tenorpartie, Henry Kiichli kann als übergroßer Wassermann überzeugen und Kyoko Akiba macht ordentlich Angst als mütterliche Wasserhexe. H.-H. Jöris als Gastdirigent erzeugt mit Oldenburgs kleinem Opernorchester ein präzises, lichtes Klangbild, das so recht zur Inszenierung passen will. Mario Nitsche

Am 17. und 25. 10. gibt es die nächsten Vorstellungen.