Nix wie hin: „Wir bilden dörfliche Gemeinschaften“
Stadtsoziologe Jens Dangschat über die Attraktivität von Altbauvierteln wie Hamburg-Ottensen und den Preisverferfall in den Randbezirken.
taz: Herr Dangschat, ist der Mensch ein Herdentier?
Jens Dangschat: Ein Herdentier würde ich nicht sagen. Aber es gibt gewisse Routinen, Vorgaben und Moden, was man heute so tut. Die Menschen ziehen jetzt auch nicht in Scharen in die Stadt. Es ist eher so, dass die Menschen einfach in der Stadt bleiben.
Die Mieten steigen also, weil sich die Leute in bestimmten Vierteln stauen?
Vor 30 bis 40 Jahren sind einfach sehr viele, die es sich leisten konnten, an den Stadtrand oder ins Umland gezogen, um dort ein Einfamilienhaus zu bauen. Das war ein klassisches Erfolgsmodell für den sozialen Aufstieg. Der Kinder und der Eigentumsbildung wegen ist man aus der Stadt rausgegangen. Die Städte waren damals auch viel weniger attraktiv als heute. Sie waren viel stärker verkehrsbelastet, es gab viel weniger Möglichkeiten draußen zu sitzen. Eigentumsbildung ist zudem heutzutage wenig attraktiv, weil man ja gar nicht weiß, wo man in fünf Jahren arbeiten wird.
Warum zieht es denn immer diese Szenetypen in entsprechende Viertel? Sucht man so sehr seinesgleichen?
Es ist ein Trend, dass innerhalb der Stadt immer mehr dörfliche Gemeinschaften gebildet werden. Das sind Wertegemeinschaften, da wir aufgrund der gesellschaftlichen Vielfalt ja alle überfordert sind. Das wird meist wenig thematisiert, weil wir uns für sehr tolerant halten.
65, ist Professor für Stadtsoziologie in Wien. Vorher hat er 16 Jahre lang in Hamburg gelehrt.
Sie meinen, man macht sich eigentlich nur was vor?
Wenn es um internationale Zuwanderung und Migration geht, wird das ganz anders diskutiert. Aber wir wollen nicht mit Nachbarn zusammen sein, die zum Beispiel andere Vorstellungen über die Kindererziehung haben, mit Rollenerwartungen an die Frauen anders umgehen oder eine Partei wählen, die am anderen Ende des Spektrums ist. Das heißt, die Menschen ziehen sich lieber in ihre Wohnumfelder zurück, die sie ein Stück weit nach ihren Wertvorstellungen gestalten können.
War das schon immer so?
Nein, früher hing es vor allem vom Geld, vom Eigentum und der Mietzahlungsfähigkeit ab. Wenn man zudem noch Familie hatte, wohnte man kindgerecht. Heute gibt es in gründerzeitlichen Vierteln der Städte Kinder von späten Eltern, was früher unüblich war.
Ist dieses Modell vom innenstadtnahen Wohnen alternativlos geworden?
Wenn es früher das Geld und die Familie waren, ist es heute auch eine Frage von Wertvorstellungen. Wenn ich innenstadtnah wohne, brauche ich zum Beispiel kein Auto. Es ist allerdings wenig erforscht, inwieweit das an Zwängen, wie einem geringen Einkommen, liegt oder ob das reine Wertvorstellungen sind, die etwas mit Umweltschutz zu tun haben.
Was bedeutet das konkret?
Wenn ich im Umland wohne, brauche ich zwei Autos. Die Frau ist Mutter und fährt die Kinder durch die Gegend und der Mann staut sich zur Arbeit und zurück.
Unsere Wertvorstellungen lassen uns also in die Städte wandern?
Die Wanderung findet schon dann statt, wenn die jungen Menschen mit ihrer Schule fertig sind. Und in die Stadt ziehen, um dort zu studieren. Wenn sie nicht studieren, dann gehen sie da hin, weil dort die Arbeitsplätze sind. Aber auch die internationale Zuwanderung richtet sich auf die Städte, da sind auch die kritischen Massen.
Inwiefern?
Da findet man Netzwerke, an die man andocken kann – und es gibt die Arbeitsplätze.
Aber nach Berlin gehen die Leute doch meist nicht wegen der Arbeitsplätze.
Berlin ist sicherlich eine Ausnahme, weil es dort viele Nischen gibt. Nach Westberlin sind früher schon die Aussteiger gegangen, denn da konnte man vor dem Wehrdienst fliehen. Weil dort so viel Raum anzueignen war, hat sich eine ganz andere Kultur entwickelt.
Warum wird dieser Sog in die Großstädte in der Gentrifizierungsdebatte eigentlich so wenig hinterfragt, die Auswirkung aber in allen Facetten beleuchtet?
Naja, Berlin ist was anderes als Münster, ohne Münster jetzt zu nahetreten zu wollen. Orte wie Berlin haben eine höhere Freizeitmöglichkeit und ganz andere Szenen. Die Lebensqualitäten sind für junge Leute viel höher, solange sie es hinkriegen, eine Wohnung zu finden. Das ist der spannende Punkt. Auch die Debatte um die Esso-Häuser in Hamburg ist eine, die in diese Richtung geht, wobei da noch die Kritik an den Eigentümern dazu kommt.
Wohin wird das führen? Sehen Sie irgendeine Gegenbewegung zum heutigen Urbanisierungsschub?
Für mich gibt es da gar keinen Bruch des Trends, dass die Menschen in die Innenstadt wollen. Ganz im Gegenteil. Suburbia wird immer mehr als ein sehr schlechter Standort wahrgenommen. Es gibt Randbereiche der Stadt, in denen die Preise verfallen, weil es kein Interesse mehr gibt. Die Gelegenheiten, irgendwelche Leute zu treffen, ist innenstadtnah nun mal am größten. Und das sind nun mal für viele junge Milieus die Orte, wo man ist – auch wenn man die Angebote vielleicht gar nicht nutzt.
Mehr aus unserem Schwerpunkt "Nix wie hin" lesen Sie in der taz.am Wochenende oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen