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Nit für Kooche, Lück!

■ Die Berliner Karneval-Session ist seit vergangenen Samstag eröffnet

Oh, nit für Kooche, Lück — bliev ich Karneval he!« sang einst der kölsche Bänkelbarde Wolfgang Niedecken allen rheinländischen Jecken entgegen, und »verpißt sisch hück«. Als alt-alternative Rheinländerin habe ich diese sessionale Landflucht daeinst immer gut verstehen können, ist doch zwischen Weiberfasnacht und Aschermittwoch der pappnasgetarnte kölsche Klüngel nur in konzentrierter Alkohollösung zu ertragen. Nun, da es mich vor sieben Jahren in die jecke Diaspora verschlagen hat, regen sich urplötzlich heimatverbundene Gefühle: Es zieht eine verschämte Sehnsucht nach Klatschmarsch, Funkemariechen und Konfetti an mir hoch. »Her mit den Clowns!« denke ich und mache mich am 11.11. um 11.11 Uhr frohnatürlich auf den Weg. Suche in der U-Bahn nach Narrenkappen, beäuge meine Bäckerin: Ob sie mir vielleicht heute einen Krapfen schenkt? Eine Kreuzberger Karnevalsgesellschaft mit dem hübschen Titel »Rot-Gelb« gibt sich verschlossen. Fehlt mir das konspirative Klopfzeichen, um in den souterrainalen Geheimzirkel Einlaß zu finden? Wo sind die Clowns? Her mit den Clowns!

Nach langem, vergeblichen Suchen kommt endlich der entscheidende Tip: Hotel Berlin. Samstag, 20.11 Uhr. Und wirklich. Kaum habe ich die Schwelle des Hotelfoyers überschritten, schlägt mir diese wohlvertraute Aufgeregtheit entgegen. Fanfarenchöre in vollem Schmiß murmeln vor der großen Festhalle Manta-Witze, um sich zu beruhigen. Die Mariechen der Funkengarde scharren mit ihren quietschroten Stiefelchen auf dem hoteleigenen Velours wie Dressurpferde kurz vor der entscheidenden Prüfung. Eine Stabführerin ruft hektisch und unverkennbar berlinisch nach Susi, und — Herr Ober, einen Wein, bitte — ich weiß: Hier bin ich jeck, hier darf ich's sein.

Im Festsaal ragen die Narrenkappen spitz und prunk über karnevalistische Stirnen aller Herrlichkeiten. Der Elferrat — das ist übrigens keine Fußballmannschaft! — formiert sich für die große Fremdensitzung, den organisatorischen Höhepunkt ihrer jecken Vereinstätigkeit. Dreieinhalb Stunden Rumtata und Schunkelmarsch. Da bleibt kein Auge trocken — Klatschmarsch, bitte!

Mit hochrotem Kopf marschieren die kleinen Bläser herein, alle Manta- Witze sind vergessen. Jetzt pusten und trommeln sie, was das Zeug hält. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt nach einem dreiviertel Jahr heftigster Probenarbeit. Stabführerin Anke Ludwakowski, sonst selbst Hochtrommlerin, ist in ihrem Element: »Trommel frei!« befiehlt sie, und der Berliner Karnvevalsnachwuchs wirbelt die Stöcke. Das lockt die Dressurpferdchen von eben auf die Bühne. Mit rhythmischem Fußstampfen und zackigem Lächeln erklimmen Susi und die anderen von rückwärts die Bühne, schmeißen ihre langen, sichtblinden Beine cancanmäßig in die stickige Luft. Drehen in ihren kurzen Miniröcken hier eine kleine Volte, da eine kokette Acht und beweisen, daß das Ornament der Masse immer noch seine Faszination haben kann. Zur ertanzten Belohnung verteilen die elf alten Onkels Bützchen und Blümchen, ein dreifaches »Berlin hei-o!«, und schon trabt die Garde wieder nach draußen.

Platz für das Kinderprinzenpaar Alex II. und Verena I. Der Knabe aus Charlottenburg ist mit waschechtem Rheinwasser getauft — Kölle alaaf! — und muß sich nun mit seiner Angetrauten aus Friedrichshain durch die Session schlagen. Eines Tages möchte er natürlich richtiger Prinz werden — wer will das nicht? —, aber dann mit einer anderen Prinzessin. Na, dann Prost! Weil auch Kinderprinzen großherzige Seelen sind, hat Ihre Minimajestät ein quirliges Tanzmariechen mitgebracht, das für uns nun zu ungarischer Volksmusik die Beine hebt, Räder schlägt und sich so ebenfalls ein Bützchen vom Präsidenten einhandelt.

Nun geht es Schlag auf Schlag. Hans Henkel, Berliner Stimmungskanone im Kampf um die tollen Tage, singt voll Inbrunst: »Der Berliner liebt Musike«, und das preußische Publikum, schließlich will sich nichts nachsagen lassen, klatscht, wo immer es rhythmisch vertretbar erscheint. Heißa, ist das schön, und noch ein Viertel für mich!! Schon wieder kommt da so ein knackiges Tambourmariechen auf die Bühne, das Röckchen noch kürzer als eben. Jubel, Trubel, Heiterkeit! »Trink, trink, Brüderlein, trink!« Eine Schaugarde aus dem Bergischen Land bei Köln gibt sich internationalistisch. In Pumphosen und Stehkragenhemden wirbeln — Kalinka, Kalinka! — drei Jungs auf die Bühne. Mit Schmackes schleudern sie ihre sechzehn Mädchen durch die Luft, etwas weinselig, kann ich dem gar nicht mehr folgen. Aber irgendwie ergattern sie sich mit jenem »Säbeltanz«, mit dem sich Lilo Pulver daeinst in Eins, zwei, drei! ihr gepunktetes Kleid ertanzte, dann noch eine waschechte »Rakete«. Die »Zellerie-Köpp« in Blau-Weiß-Glitzer tragen erstaunlicherweise rote Höschen und haben eine Dicke in ihrer Mitte. Dafür trägt ein junger Kerl sein Mädel auf den Schultern in den Saal. Wo greift der ihr da hin, das Schwein? So ist eben Karneval. Herr Ober, noch einen Müller-Thurgau und dann die Rechnung, bitte! Jetzt zieht der Elferrat seine Handschuhe an, das Berliner Prinzenpaar, eben noch in Tempelhof und gleich weiter nach Britz, schaut auf »hei-o« herein. »Ach wär' ich doch nur einmal / ein junger Prinz im Karneval!« singt der Präsident zum Gruße, und Ihre Lieblichkeit Kati I. weiß: »Das wird eine supa Session!« Noch mal Blümchen für die Damen, und mir nun endlich die Rechnung, bitte! Da schunkelt der Saal schon aufs heftigste, »Korn- korn-kornblumenblau!«, und ich stimme, angesichts der gar nicht so jecken Rechnung mit ein: »Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? / Wer hat so viel Pinke, Pinke, wer hat das bestellt?« »Sie selbst«, antwortet der Kellner höflich, aber bestimmt. Oje, oje, ojeojeoje! Klaudia Brunst

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