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Nippon Connection Japanisches Kino in Frankfurt am Main: Festival-Gründerin Marion Klomfaß über Animes, Geister und Fukushima„Humor ist schwer zu vermitteln“

INTERVIEW Katharina J. Cichosch

taz.am wochenende: Frau Klomfaß, Sie sind seit 16 Jahren Leiterin des „Nippon Con­nection“-Filmfestivals. Welche Veränderungen haben Sie in dieser Zeit im japanischen Kino festgestellt?

Marion Klomfaß: In den letzten Jahren zeichnet sich eine starke Kommerzialisierung ab – die Quantität nimmt zu, die Qualität nicht unbedingt. Es wird viel für den asiatischen Markt produziert: Mangas, Romanverfilmungen, J-Pop-Storys. Die Filme sind sehr erfolgreich, aber nicht besonders anspruchsvoll. Es gibt weniger Autorenfilme, und es wird immer schwieriger für junge, noch nicht etablierte Filmschaffende. Das ist sehr schade für die viel versprechenden, jungen Regisseure. Die Tendenz geht eindeutig zu Großproduktionen.

Als Laie kann man den Eindruck bekommen, in Japan sei noch beides möglich: Einerseits produziert ein Filmemacher wie Takeshi Kitano trashige Game-Shows wie das legendäre „Takeshi’s Castle“, andererseits ist er für anspruchsvolle Spielfilme bekannt.

Es gibt einige Regisseure, die totale Kommerzfilme machen und dann wieder außergewöhnliche Independent-Produktionen. Das Modell ist, sich durch kommerzielle Arbeiten die kleineren Produktionen zu finanzieren. Wenn man erst einmal erfolgreich ist, ist durchaus eine übliche Praxis. Ein Beispiel für diese Arbeitsweise ist auch der in Japan bekannte Regisseur und Künstler Sion Sono, den wir in diesem Jahr mit zwei extrem unterschiedlichen Filmen präsentieren: Einmal die abgedrehte Komödie „Love & Peace“ – und dann „Whispering Star“, der im Gegensatz dazu ein kleiner, experimenteller Science-Fiction-Film in Schwarzweiß ist.

In diesem Jahr wird es keine Retrospektive zu einem Regisseur geben, stattdessen widmet sich das Festival einem ganz bestimmten Thema: Geister. Warum?

Geister sind generell wichtig in der japanischen Kultur. Es gibt uralte Geschichten, die im Theater, später dann im Film aufgegriffen wurden und die auch heute noch eine Rolle spielen. Bezieht jemand eine neue Wohnung, dann werden erst einmal die alten Geister vertrieben. Ein berühmtes Beispiel sind die japanischen Horrorfilme, die gern in Hollywood neu verfilmt werden. Auch sonst gibt es sehr interessante Filme, in der die traditionellen Geschichten filmisch aufgearbeitet werden. Wir konzentrieren uns auf die 1940er bis 1960er Jahre, vom Experimental- bis zum klassischen Horrorfilm.

Einen weiteren Schwerpunkt bilden in diesem Jahr Animes, die in Japan einen ganz anderen Stellenwert besitzen als in Deutschland.

Animes sind ein Riesenthema: Es gibt Anime-Conventions, Manga- und Cosplay-Treffen. Wir wollen aber die andere Seite zeigen, kein „Sailor Moon“ und kein „Pokémon“. Wir wollen zeigen, dass Anime in Japan eine Kunstform ist, in all ihrer Vielfalt: Zum Programm gehören unter anderem Langfilme und Kurzfilme von Studenten der Tokyo University Of The Arts in Yokohama – dort gibt es eine eigene Animationsklasse, die ganz hervorragende Arbeiten hervorbringt. Außerdem präsentieren wir einen eigenen Schwerpunkt mit Animationsfilmen von Filmemacherinnen und „Harmony“ von Takashi Nakamura und Michael Arias – Arias ist als erster Ausländer offiziell in die sonst nur mit Japanern besetzten Animationsstudios eingestiegen ist.

Marion Klomfaß

Die Leiterin von „Nippon Connection“ hat die japanischen Filmtage im Jahr 2000 mitbegründet. Am Dienstag eröffnen Klomfaß, 46, und ihr Team die 16. Ausgabe des weltweit größten Festivals dieser Art. Programminfos: www.nipponconnection.com

Die japanische Filmindustrie gilt als eine der größten der Welt. Obwohl es einzelne Produktionen oder Genres auf den internationalen Markt schaffen, ist ihr Anteil angesichts der Vielzahl an Filmen immer noch erstaunlich gering. Inwiefern hängt dies mit spezifischen Strukturen und der Filmproduktion im eigenen Land zusammen?

Es scheint schwierig für japanische Vertriebsfirmen, im Westen Fuß zu fassen. Animations- und Genrefilme funktionieren noch gut, aber vieles andere passt hier nicht. Wenn ein Film in Japan ein Kassenschlager ist, denken die Produktionsfirmen, sie könnten dasselbe Geld auch im Westen machen. Dabei sind ihre Preise beispielsweise für den Verleih oft viel zu teuer. Schwierig sind die oft ewig dauernden Verhandlungen: Viele japanische Filmfirmen haben eine riesige Rechtsabteilung, und bis ein Vertrag ausgehandelt wird, ist die Produktion vielleicht schon nicht mehr aktuell. Ein Beispiel sind hier auch Festivals: Oft werden horrende Aufführungsgebühren verlangt. Es fehlt die Erfahrung, das Ganze richtig einzuschätzen: Alle wollen in Cannes aufgeführt werden, daher müssen andere Festivals warten, ob sie einen Film bekommen. Dabei wäre es eine große Chance, überhaupt in Europa gezeigt zu werden.

Wie kann sich das ändern?

Wir haben in diesem Jahr zum Beispiel eine Podiumsdiskussion, die sich mit dem Thema Koproduktionen beschäftigt. Denn was in Europa und den USA gang und gäbe ist, wird in Japan noch relativ wenig praktiziert. Gerade unabhängige Regisseure versuchen es aber heute zunehmend mit internationalen Koproduktionen.

Sie sagten, dass japanische Filme jenseits von Anime und Genreproduktionen es hierzulande schwer haben. Das kann man sich als westlich geprägter Zuschauer gut vorstellen: Viele japanische Spielfilme begeistern, ohne dass man sie als Außenstehender unbedingt versteht. Die innere Logik, die Handlung und Figuren vorantreibt, bleibt dem Betrachter manchmal verschlossen.

Wir müssen uns im Team selbst kritisch fragen: Ist das für den „normalen“ Zuschauer in Ordnung oder schon „zu japanisch“? Gerade das Thema Humor ist schwierig zu vermitteln, ebenso geschichtliche und politische Hintergründe, die einiges an Wissen voraussetzen. Es kann aber auch ganz schön sein, sich einfach darauf einzulassen, nicht immer alles erklärt zu bekommen. Im japanischen Film gibt es schon mal zehn verschiedene Hauptdarsteller, einen komplett merkwürdigen Erzählstrang, oder es passiert plötzlich einfach gar nichts. Oder aber ein Film hat gleich mehrere Enden.

„Ist das für den ‚normalen‘ Zuschauer in Ordnung oder schon ‚zu japanisch‘?“

Auf welche Filme oder Programmpunkte freuen Sie sich persönlich besonders in diesem Jahr?

Ich freue mich sehr, dass Kiyoshi Kurosawa in diesem Jahr den Ehrenpreis erhält. Er hat eine ganz besondere Bedeutung für den japanischen Film. Zu den weiteren Highlights zählt für mich die Reihe Nippon Visions, die inzwischen auch ein gutes Renommee in Japan entwickelt hat: Da erwarten wir rund 50 japanische Filmemacher, zu jedem aufgeführten Film einen Gast, der Fragen beantworten wird. Der direkte Austausch mit dem Publikum und untereinander ist wichtig für uns. Wir sind keine Rote-Teppich-Veranstaltung. Bei uns treffen sich zum Beispiel japanische junge Talente mit berühmten Regisseuren, die sich in Japan so nie begegnen würden. Auch freue ich mich sehr auf die internationale Premiere einer der ersten Serien von Netflix Japan, von der wir zehn Folgen am Stück zeigen werden.

Und es wird wieder einen besonderen Schwerpunkt geben.

Richtig. Unser Fukushima-Schwerpunkt – mit sehr guten Dokumentarfilmen – bedeutet mir viel. In Deutschland wird Fukushima gern mit Verstrahlung gleichgesetzt, ohne näher auf die Auswirkungen für die Menschen in dieser Region bis heute einzugehen. Vor wenigen Tagen gab es ein erneutes starkes Erdbeben, auch nah an einem Atomkraftwerk, das die Erinnerungen bei vielen Japanern wiederaufleben lässt. Von diesen Ängsten handelt unser Festival auch.

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