■ Nimmt China keine Rücksicht auf die Weltöffentlichkeit?: Paranoide Logik der Machthaber
Die ganze Welt protestiert gegen die Atomtestpläne Frankreichs und – nach der Greenpeace- Aktion auf dem Tiananmen-Platz – auch Chinas. Was passiert? Die chinesische Regierung unternimmt scheinbar unberührt davon zwei Tage nach der Demonstration in Peking einen weiteren Atomversuch. Kurz zuvor rühmen sich die chinesischen Behörden, daß sie alles daransetzen, ein „sicheres Umfeld“ für die UNO-Frauenkonferenz im September zu schaffen: Sie lassen großzügig hinrichten.
Warum diese Provokationen? Oder anders gefragt: Was denken sich die chinesischen Politiker eigentlich dabei? Ist es ihnen völlig egal, was die internationale Öffentlichkeit denkt? Geht es ihnen vielleicht darum, der Welt immer wieder zu beweisen, daß China eine aufstrebende Großmacht ist, die es nicht nötig hat, auf Kritik zu reagieren? Oder sind sie so sehr in interne Fraktionskämpfe mit Blick auf die Nachfolge des sterbenden Deng Xiaoping verstrickt, daß sie die weltweite Kritik gar nicht mehr mitbekommen?
Nun haben die chinesischen Machthaber nicht die Angewohnheit, Rechenschaft über ihre Politik abzulegen – weder vor ihren eigenen Untertanen noch vor ausländischen Kritikern. Die Erfahrung lehrt aber, daß die Pekinger Regierung immer ganz genau registriert, wenn sie kritisiert wird.
Das hat nicht zuletzt der chinesische Premierminister Li Peng sehr eindrücklich bei seinem Deutschland-Besuch im vergangenen Jahr gezeigt. Was man in Deutschland damals so wenig verstanden hat, war, worüber der chinesische Politiker sich so erboste. Gewiß waren es nicht die Aktivitäten irgendwelcher DemonstrantInnen. Nein, der chinesische Ministerpräsident verübelte der Bundesregierung, daß sie es überhaupt duldete, ihren Gast in diese peinliche Situation kommen zu lassen. Für die Pekinger Politiker, denen demokratische Traditionen und das Konzept einer bürgerlichen Öffentlichkeit vollkommen fremd sind, war sonnenklar: Die deutsche Regierung wollte ihm eins auswischen, dafür benutzte sie die Demonstranten. So jedenfalls hätte Li Peng es selbst gemacht, wenn er einem ausländischen Gast unverhüllt zeigen wollte, daß er ihn verachtet.
Und nun kommen die Greenpeace-Leute nach Peking, protestieren gegen die Atomversuche und erklären, daß sie eine unabhängige Organisation sind, daß ihr Protest nichts anderes als ein Ausdruck der internationalen Besorgnis über die Folgen von Atomversuchen darstellt. In der paranoiden Logik der chinesischen Parteiführung ist dies völlig unvorstellbar. Bei Greenpeace kann es sich in ihren Augen vielmehr nur um eine von westlichen Regierungen gesteuerte Organisation handeln. Schließlich haben die chinesischen Kommunisten noch in guter Erinnerung, wie sie selbst die Fäden nützlicher Frontorganisationen gezogen haben. Und daß der Westen selbst ein Interesse haben könnte, das chinesische Nuklearprogramm zu schwächen, das wollen die Pekinger Politiker gewiß gerne glauben. Dieser Logik zufolge glauben die westlichen Regierungen jedoch offensichtlich, es sich nicht leisten zu können, direkt in Peking zu protestieren. Oder es nicht nötig zu haben. Auf diese chinesische Denkweise einzugehen, heißt für die Antiatombewegung: Die nationalen Regierungen und die internationalen Organisationen müssen von ihr gezwungen werden, sich für das Ende der Atomversuche in Peking einzusetzen. Allein können die Antiatomorganisationen in China nur wenig bewegen.
Auch wenn sich die chinesischen Politiker nicht am Atomtesten hindern ließen, war der Auftritt von Greenpeace in China dennoch sehr nützlich. Er zeigt erneut, wie sehr sich die Regierung davor fürchtet, daß die Bevölkerung durch kritische Töne „beunruhigt“ oder gar angeregt wird. Das trifft besonders auf jene Teile zu, die selbst von den Versuchen am stärksten betroffen sind: die Einwohner der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas. Ihre Proteste sind von der Regierung stets schnell und hart unterdrückt und zumeist als Vorwand für separatistische Bestrebungen der dortigen nationalen Minderheiten denunziert worden. Für diese und andere Gruppen, die niemals die Möglichkeit erhalten haben, die Regierung wegen der Verstrahlung ganzer Regionen, der Vergiftung des Bodens oder anderer Folgen rücksichtsloser Eingriffe in die Natur zu belangen, können solche Aktionen nur Ermutigung bedeuten.
Die schnelle Reaktion nach der Kundgebung auf dem Tiananmen- Platz zeigt, daß das Areal offensichtlich flächendeckend von Geheimpolizisten besetzt war. Wir können sicher sein, daß die chinesischen „Sicherheitsbehörden“ gerade dabei sind, die Erfahrungen auszuwerten: Wie konnte es geschehen, daß Fotos von der Aktion trotz aller Wachsamkeit an die Öffentlichkeit gelangten? Wie kann das künftig, bei erwarteten Aktionen vor und während der Weltfrauenkonferenz, verhindert werden? Wer in den nächsten Wochen in Peking aktiv werden will, muß dies wissen – und klug handeln.
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