: Nilpferd nach Euro-Norm
Nette Tiere für nette Kinder verkaufen sich am besten. Auf dem Cartoon-Forum orderten die Sender fernsehkompatible Animationen ■ Von Carola Rönneburg
Ende September 1996 kurven acht vollbesetzte Reisebusse auf Besichtigungstour durch Westirland. Die Gespräche an Bord drehen sich jedoch weder um die furchtlosen irischen Schafe am Straßenrand, die dem Troß keinen Zentimeter ausweichen, noch um die karge Landschaft der Connemaras. Man spricht vom Geschäft: 500 Vertreter der europäischen Trickfilmbranche haben sich in Galway zu ihrer jährlichen Verkaufsmesse, dem „Cartoon Forum“ zusammengefunden.
Seit 1989 veranstaltet Cartoon, eine Unterorganisation des EU- Programms Media, dieses Treffen mit dem Ziel, europäische Trickfilmmacher und -produzenten mit Finanziers und vor allem den Einkäufern europäischer Fernsehsender zusammenzubringen. An drei Tagen präsentieren die Trickfilmstudios ihre Vorhaben in kleinen Verkaufsshows, für die sie meist einen kurzen Pilotfilm vorbereitet haben.
Die Rückbank von Bus Nummer fünf hat eine Gruppe von Männern eingenommen, die sich The Consortium of Gentlemen nennt. Ihr Arbeitstag ist zu Ende. Am Morgen ging die Präsentation ihrer geplanten Trickfilmserie „To the Stars by Steam“ über die Bühne, und die Gentlemen sind nicht gerade glücklich. „Es ist zu Pink!“ wiederholt Produzent Julian Roberts die Worte der Vertreterin eines französischen Senders. „Und nicht niedlich genug“, ergänzt Koregisseur Mark Slater.
Viele Filmer verzichten auf eine Nominierung
„Und sie hat auch gefragt, ob wir nicht noch ein Tier unterbringen können.“ Für Julian Roberts war dies der erste Versuch, auf einem Cartoon Forum Geldgeber für ein Produkt aus seinem Studio zu finden. Den sehr gelungenen Pilotfilm für die Knetanimation hat Cartoon gefördert; nun sollten sich Interessenten für die Produktion der Serie finden. Der vermeintliche Vorteil des Cartoon Forums, Verkäufer und Käufer miteinander bekannt zu machen, hat aber auch eine Kehrseite: Die Studios geraten zu einem so frühen Zeitpunkt der Produktion an mögliche Abnehmer, daß deren Änderungswünschen entsprochen werden muß – wenn man sie für sich gewinnen will.
Langjährige Teilnehmer der Messe wissen das. Als Cartoon sich gründete, wollte man den Anteil gesendeter Trickfilmstunden aus europäischer Produktion erhöhen und gleichzeitig den anspruchslosen amerikanischen und asiatischen Serien Konkurrenz mit Qualität machen. „Europäische Kultur“ war in diesen Tagen ein oft benutztes Schlagwort, und vor diesem Hintergrund wurde auch vereinbart, in jedem Jahr einen Preis für einen animierten Kurzfilm zu vergeben: Mit 35.000 Ecu Preisgeld übertrifft der „Cartoon d'Or“ alle Summen, die auf Festivals von Animationsfilmern zu gewinnen sind.
Die Teilnahmebedingen allerdings orientierten sich schon damals am Fernsehen und dessen Anforderungen. So muß der siegreiche Trickfilmer seinen Preis für eine fernsehformatkompatible Produktion verwenden. In diesem Jahr ging der Cartoon d'Or an den deutschen Puppentrickfilm „Quest“ von Tyron Montgomery, der einen Mann aus Sand auf der Suche nach Wasser durch unwirtliche Welten schickt und ihn nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen tragisch enden läßt.
Viele Animationsfilmer aber verzichten daher auf ihre Nominierung. Und was für den streng künstlerischen Bereich gilt, findet sich auch bei den Produzenten von animierten Fernsehfilmen und -serien wieder. In jedem Jahr sinkt die Zahl der Projekte, die sich einen eigenen Stil leisten.
Jenseit von Henrietta läuft nichts
In vorauseilendem Gehorsam gehen die Studios auf Nummer Sicher und halten sich an das, was immer geht: Nette Tiere und lustige Geschichten für nette Kinder.
Der Großteil des Serienangebots in Galway richtete sich denn auch an die 4- bis 10jährigen. Animation für Heranwachsende oder Erwachsene ist rar und wird hauptsächlich von französischen Studios produziert. Die Käufer solcher Programme sind allerdings ebenfalls aus Frankreich: Mit Ausnahme von premiere, der nicht nur französische Comicadaptionen ausstrahlt, sondern sogar kurze Animationsfilme zeigt, bleiben deutsche Sender auf den Trickfilm für Kinder fixiert.
Selten warfen ihre Vertreter in Galway einen Blick auf Geschichten jenseits von „Henrietta, dem kleinen Nilpferd“. Bei der Präsentation der Verfilmung von „Jeanette Pointu“, einem Comicklassiker aus Frankreich, war kein einziger deutscher Sender zugegen.
Die vielbeschworenene europäische Zusammenarbeit bei der Trickfilmproduktion erschöpft sich daher darin, stets den Vorstellungen der potentesten Geldgeber zu folgen – und hierzu gehören die Deutschen ganz gewiß. Und so darf der Zuschauer vorerst keine neuen Entwicklungen im deutschen Fernsehen erwarten. Die Sender bleiben bei ihren Schemata, und die Studios verzichten auf Experimente. Für das europäische Fernsehen bedeutet dies aber, daß etwa französische, spanische oder englische Trickfilmproduzenten immer auch für den deutschen Markt arbeiten. Alles wird gleicher – und Julian Roberts Knetfiguren vermutlich niedlicher. Und nicht zu Pink.
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