Nigeria: Ölmetropole wird Chaosmetropole
In Nigerias Ölfeldern herrscht Krieg. Was als Revolte gegen die Ölförderung begann, ist zu einem unkontrollierten Bandenkrieg geworden.
LAGOS taz In Nigeria herrscht Ratlosigkeit über die zunehmend in Anarchie abdriftende Sicherheitslage in Port Harcourt. Mit einem offenen Krieg zwischen den Bandenmilizen in der größten und wichtigsten Stadt der Ölgebiete Nigerias hat die Gewalt im Niger-Delta eine neue Dimension erreicht. In der Zwei-Millionen Stadt herrscht seit einer Woche nächtliche Ausgangssperre, aber gegen den eskalierenden Machtkampf zwischen den mächtigsten Banden der Stadt richtet das wenig aus. Nach Dutzenden Toten in den letzten drei Wochen waren in der Nacht zum vergangenen Freitag erneut Granateneinschläge im Industriegebiet Transamadi zu hören, Zeitungen meldeten am nächsten Tag erneut 20 Tote. Damit geht es Port Harcourt etwa so gewalttätig zu wie Mogadischu in Somalia.
Mit automatischen Waffen, Panzerfäusten und Dynamitstangen gehen die zumeist jugendlichen Anhänger der Milizen aufeinander los. Tagelang fuhren keine öffentlichen Transportmittel mehr, Bandenmitglieder auf Motorrädern übernahmen die Herrschaft über die Straßen und steckten zahlreiche Gebäude sowie eine große Tankstelle in Brand. Noch Mitte Juli hatten die Milizen einen Friendenspakt geschlossen.
Für Nigerias neuen Präsidenten Umar Musa Yar'Adua ist die Gewalt in Port Harcourt seine erste große Feuerprobe. Nach seiner äußerst umstrittenen Wahl Ende April streckte er bei seiner Amtsübernahme Ende Mai die Fühler in Richtung der Rebellen aus, die weite Teile des Niger-Deltas seit Jahren unsicher machen und die Ölförderung immer wieder lahmlegen, und entließ ihren wichtigsten Führer Mudjahid Dokubo-Asari aus der Haft. Aber die Gewalt nahm seither eher noch zu.
Bewohner Port Harcourts sagen, jetzt kämpften Banden um die Vorherrschaft in der Stadt. Der Kommandeue der Eingreiftruppe der nigerianischen Armee sagte, die Banden kämpften um die Kontrolle des illegalen Benzin-Schmuggels bekriegten. Ähnlich äußerte sich die Landesregierung in dem Bundesstaates Rivers, in dem Port Harcourt liegt. Immer wieder behaupten Landespolitiker in den Ölgebieten, dass die Rebellen in den Ölfeldern eigentlich als Frontmänner für Organisatoren des gigantischen nigerianischen Ölschmuggels arbeiten, die in der Hauptstadt Abuja selbst sitzen. Dieser Schmuggel hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Multi-Millionen-Geschäft entwickelt, womit leicht modernste Waffen gekauft werden können. Die Sicherheitskräfte können nicht mehr mit den Banden mithalten, was die Bewaffnung angeht.
Als Reaktion auf den ausgebrochenen Machtkampf zwischen den Banden schickte der neue Präsident zuerst seine Geheimdienste los, die prompt örtliche Politiker verhafteten, weil sie angeblich die Gewalt orchestrierten. In den frühen Morgenstunden des 16. August schließlich rückten Soldaten mit Kampfhubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen nach Port Harcourt an. Im Zuge der Militärintervention starben etwa drei Dutzend Menschen, fast 100 wurden verletzt. Die Solaten errichteten in der ganzen Stadt Straßensperren. Leute mussten mit erhobenen Armen aus den Fahrzeugen steigen. Wer ab Beginn der Ausgangssperre um 19 Uhr auf der Straße vom Militär angehalten wird, muss damit rechnen, bis zu 500 Naira (drei Euro) an die Soldaten zu zahlen. Deshalb lassen viele Firmen ihre Mitarbeiter schon ab 16 Uhr nach Hause gehen.
Ein halbes Jahr soll dieser Militäreinsatz dauern, was die ohnehin schmale Loyalität der Bürger gegenüber dem nigerianischen Staat weiter strapaziert. Vor allem einige traditionelle Herrscher aus dem Bundesstaat fordern jetzt aber sogar einen umfangreichen Ausnahmezustand.
Der Gewalt auf den Straßen von Port Harcourt ging eine beispiellose Entführungswelle voraus. Seit Anfang vergangenen Jahres wurden über 200 Ausländer in der Region entführt, zumeist in der Ölbranche. Eine lukrative Lösegeld-Industrie entstand. Ausländer verlassen in Scharen die Region, und seit einigen Monaten suchen sich die Kidnapper andere Opfer: Zuletzt entführten sie den 2-jährigen Sohn eines Dorfältesten, eine 3-jährige Tochter eines Briten, einen 11-jährigen Sohn eines Landesparlamentariers. Auch die Mütter eines anderen Landesabgeordneten und eines Parlamentspräsidenten wurden entführt. Alle kamen relativ schnell und unversehrt nach Zahlung eines Lösegelds frei. Auch auf See schlagen die Banden zu. Zum Beispiel griffen sie zwei Boote an, die zu einem Öl-Terminal des Konzerns Shell fuhren.
Die neu aufgeflammte Gewalt in Port Harcourt trotz des massiven Militäreinsatzes bedeutet, dass Präsident Yar'Adua nun langsam die Optionen ausgehen. Seine Hoffnung, dass der einstige Chefrebell des Nigerdeltas, Mujahid Dokubo-Asari, die Milizen unter Kontrolle bringen könnte, habt sich zerschlagen. Nachdem er von der Regierung auf freien Fuss gesetzt wurde, hören offensichtlich die meisten Kämpfer nicht mehr auf ihn. Selbst er wurde angeblich jüngstens überfallen und sein Auto los, heißt es in Port Harcourt. Die wichtigste militante Gruppe des Nigerdeltas nennt Dokubo-Asari inzwischen eine Marionette der Regierung.
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