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■ Niemand wird Goražde zu Hilfe kommenScheinaktivitäten

UNO-Generalsekretär Butros Ghali fordert die serbischen Belagerungstruppen um Goražde zum Rückzug auf ihre Linien vor Beginn der Offensive am 29. März auf und beauftragt die Unprofor, diesen Rückzug „mit allen Mitteln“ durchzusetzen – die Meldung vom Wochenende erweckte den Eindruck, nach tagelangem Zögern sei die internationale Staatengemeinschaft endlich entschlossen, der Aggression gegen die ostbosnische Muslimenklave Einhalt zu gebieten. Tatsächlich war Ghalis Erklärung kaum mehr als heiße Luft und enthielt in der Substanz nichts Neues. Bereits der Vormarsch der serbischen Truppen auf Goražde war ein eindeutiger Verstoß gegen die Resolution des UNO-Sicherheitsrat über die Schutzzonen vom Mai des vergangenen Jahres. Und zum Einsatz „aller Mittel“, um diesen Vormarsch zu verhindern oder ihn rückgängig zu machen, war die Unprofor auch schon vor Butros Ghalis Erklärung autorisiert. Allein hierzu fehlte und fehlt weiterhin der politische Wille.

Die Initiative der USA, die den muslimisch-kroatischen Teilfrieden und die Gründung einer Föderation zwischen diesen beiden Volksgruppen bewirkte, ist völlig zum Stillstand gekommen. Hochrangige Vertreter der Clinton-Administration machen daraus inzwischen keinen Hehl mehr. Die Reisen des Sonderbeauftragten Redman können höchstens noch den Anschein von Aktivität aufrechterhalten. Nicht mehr als Schein ist auch von der voreilig gepriesenen Kooperation zwischen den USA und Rußland auf dem Balkan übriggeblieben. Washington hat inzwischen voll begriffen, daß die Regierung in Moskau nicht willens und/oder nicht in der Lage ist, die bosnischen Serben zu territorialen Konzessionen zu bewegen.

Die entschlossen klingenden Worte und diplomatischen Scheinaktivitäten sollen verdecken, worauf sich die USA, Rußland und die großen EU-Staaten inzwischen verständigt haben, was aber mit Rücksicht auf die bosnische Regierung und die islamischen Staaten nicht als offizielle Politik verkündet wird: Bosnien- Herzegowina wird zweigeteilt entlang einer eindeutigen Ost-West-Grenze; die muslimischen Enklaven Goražde, Zepa und Srebrenica werden geopfert.

Für Goražde läßt das in nächster Zeit eine ähnliche Entwicklung erwarten, wie sie bereits vor genau einem Jahr in Srebrenica und Zepa begann. Die serbischen Truppen stellten damals ihre wochenlangen heftigen Angriffe erst ein, als Unprofor-Verbände in die beiden Städte verlegt wurden und die Verteidigungstruppen der bosnischen Regierungsarmee entwaffneten. Der größte Teil der Unprofor-Soldaten wurde inzwischen wieder aus den beiden Enklaven abgezogen. Die serbischen Belagerungstruppen rückten näher an Zepa und Srebrenica heran und bestimmen heute nach Belieben, ob und wieviel humanitäre Versorgungsgüter zu den rund 80.000 eingeschlossenen muslimischen EinwohnerInnen gelangen. Der Zeitpunkt, wo diese 80.000 wie die 70.000 Muslime in Goražde vor die Wahl gestellt werden, weiter unter diesen Bedingungen zu vegetieren oder aber in die muslimisch-kroatische Föderation zu emigrieren, ist absehbar. Und auch die Kommuniqués können schon heute formuliert werden, in den Butros Ghali, Clinton, Kosyrew oder Kinkel uns diese „ethnische Säuberung“ dann als notwendigen humanitären Akt erklären. Andreas Zumach, Genf

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