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Niemand rennt und brüllt in der Kabutocho

Nach den seit kurzem aufgedeckten großen Korruptionsskandalen hat die Tokioter Börse ihre moralische Baisse erreicht/ Das Finanzministerium fordert deshalb Sühne und schränkt den Handel der vier größten japanischen Aktienhäuser ein  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Es ist das schönste Gebäude von Paris“, schwelgte Heinrich Heine über die Börse der Grande Nation, „Napoleon hat es bauen lassen.“

Was wäre der Dichter enttäuscht, würde er heute nach Tokio kommen. Kein „Marmorhaus“, kein „Tempel des Ruhms“ ist hier dem für Heine „nichtswürdigen Geschäfte“ geweiht. Sondern ein grauglatter Steinbunker beherbergt den Aktienmarkt, kühl im Inneren — ohne Glanz nach außen. Mit dem schlichten Äußeren höhnt die Kabutocho, so der Name der Börse, für gewöhnlich ihrer Macht. Doch gestern stand ihr die Bescheidenheit einmal richtig an. Nach den Jahren des Höhenflugs hatte Tokios Börse am Freitag ihren absoluten, ihren moralischen Tiefststand erreicht.

Es war ein wundersamer Anblick. Tokios Broker schlichen mit hängenden Köpfen um den zweitgrößten Aktienmarkt der Welt. Keine Eile, keine Hast war ihnen anzumerken, ihnen, die sonst die Treppen zur Börsenhalle im Sprungschritt nehmen, da die Sekunden Millionen kosten. „Wir machen heute früher Feierabend“, bemerkte ein junger japanischer Aktienhändler vom US- Wertpapierhaus Barclays und konnte sich dabei gar nicht freuen.

Der Grund für all die Ruhe und Schmach: Japans großen Aktienhäusern — Nomura, Nikko, Daiwa und Yamaichi — ist es an diesem schwarzen Freitag untersagt, für ihre großen Kunden Handel zu treiben. Die in den letzten Wochen aufgedeckten Korruptionsskandale hatten das japanische Finanzministerium veranlaßt, von der vier Wertpapierhäusern eine „Selbstbestrafungsmaßnahme“ zu verlangen.

Die besteht nun darin, daß Nomura, Nikko, Daiwa und Yamaichi an vier Geschäftstagen — bis zum kommenden Montag — ihre Geschäfte, die normalerweise etwa 40 Prozent des gesamten Tokioter Börsenhandels umfassen, um annähernd die Hälfte reduzieren. Damit gleicht Kabutocho einem Kaufhaus, das plötzlich nur noch Gemüse verkauft. „Dieser Sakndal wird uns noch vier, fünf Jahre beschäftigen“, seufzt der Börsenaufsichtsbeamte Taijii Ishii und zeigt auf den Bildschirm, der für diesen Morgen ein Handelsvolumen von lächerlichen 170 Millionen Aktien anzeigt. Erinnerungen an die Steinzeit der 70er Jahre werden wach, als Tokio noch zur Finanzprovinz gehörte. Denn ohne die „Großen Vier“, wie Nomura und die drei anderen bisher hochachtungsvoll genannt werden, kann die Kabutocho nicht leben. Nomura, Nikko, Daiwa und Yamaichi — sie sind wie Herz, Lunge, Niere und Leber für Tokios Börse.

Deshalb wissen nun alle, daß Kabutocho krank ist. Nomura & Co. haben Kompensationszahlungen an ihre großen Kunden geleistet. Sie haben damit die kleinen Investoren im ganzen Land betrogen. Nomura & Co haben mit Nippons Yakuza- Gangstern ihre Geschäfte getrieben. Niemand leugnet mehr die Symptome des Verfalls. Stramm steht die Nomura-Sprecherin Tomoko Aikawa vor mir, schaut mir in die Augen und spricht wie eine Ärztin: „Überleben können wir nur noch, wenn wir uns ändern.“

Aber kann Reichtum auch sterben? Manche haben Nomura die mächtigste Firma der Welt genannt. „Daran wird sich nichts ändern“, befindet lautstark ein Wirtschaftsstudent, der am Freitag mit seinem Seminar die Börse besucht, „Japan ist eine Gesellschaft des Geldes. Deswegen wird das Mafia-Business weitergehen.“ Nicht alle Profis sind so optimistisch.

„Vor zwei Jahren“, erinnert sich Kazuhiro Watanabe, Tokioter Chefhändler einer Schweizer Bank, „war das hier ein Kasino. Doch heute machen wir ernste Geschäfte. Deswegen müssen wir auch den Nomura- Skandal zu dieser Zeit ernst nehmen.“ Schon machen sich in der Kabutocho Gerüchte breit, daß die Skandalwelle nun auch namhafte Politiker überspülen wird, die von den Großen Vier ebenfalls bevorzugt behandelt wurden. Darüber hinaus ängstigen sich die in Tokio angesiedelten Wertpapierhäuser um ihre besonderen Privilegien. „Was ist, wenn nun die Amerikaner neue Börsenregeln von uns fordern“, sorgt sich Watanabe. „Wir alle haben Angst vor Amerika.“ Tatsächlich könnte Präsident George Bush schon während des Weltwirtschaftsgipfels in London ein transparenteres Geschäftsgebaren an der Tokioter Börse einklagen. Denn bisher gelangt nur in die Kabutocho, wer eine unter strengsten Kriterien vergebene Lizenz des japanischen Finanzministeriums erhält. Bisher sind 267 Wertpapierhäuser an der Tokioter Börse zugelassen, an der Wall Street sind es 12.000. Aufgrund der Vormacht, über die bislang die Großen Vier verfügten, war die Kabutocho nie wie das Meer, „wo aus den Menschenwellen die großen Bankiers gleich Haifischen hervorschnappen, wo ein Ungetüm das andere verschlingt“ (Heine). An der Kabutocho überlebten stets alle, und wie tief die Kurse auch fielen, so kam doch niemand dabei um. Doch heute geht es nicht mehr um das Hoch und Tief, nun fragt man sich, wie hoch steht die Moral der Börse im Kurs. Wäre die Kabutocho — allem Schein zum Trotze — nicht der Marmortempel der japanischen Finanzmacht, mithin das kostbarste Gebäude dieser Welt, dann könnten die Großen Vier ihr Spiel forsetzen. Aber so nicht!

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