Niedrige Renten für Frauen: Die Ost-Mutter als Vorbild
Trotz guter Ausbildung werden viele Frauen nicht von ihren Renten leben können. Im Vorteil sind die Ostdeutschen: Sie arbeiten häufiger in Vollzeit.
BERLIN taz | 622 Euro im Monat. Auf so viel Rente durchschnittlich dürfen Frauen hoffen, die aus den alten Bundesländern stammen, heute Mitte 40 und berufstätig sind. Bei Ostfrauen beträgt die zu erwartende Rente im Durchschnitt 790 Euro.
Das haben die Politikwissenschaftlerin Barbara Riedmüller und die Sozialwissenschaftlerin Ulrike Schmalreck für ihre soeben erschienene Studie "Die Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen im mittleren Alter" ausgerechnet. Dafür zogen die Expertinnen der Freien Universität Berlin Daten der Deutschen Rentenversicherung und des Sozioökonomischen Panels heran.
Wichtigstes Fazit dieser Untersuchung: Arbeit schützt Frauen nicht in jedem Fall vor Altersarmut. Wie kann das sein?
Die Forscherinnen erklären es so: Frauen sind heute zwar häufig besser ausgebildet als die Generation ihrer Mütter und sie arbeiten auch häufiger. Aber vielfach in Teilzeit- und in 400-Euro-Jobs. "Das mindert ihre Rentenansprüche massiv", sagt Barbara Riedmüller.
Familienplanung als Stolperstein
Wobei es einen eklatanten Unterschied zwischen Ost und West gibt, wie die Forscherinnen herausgefunden haben. Vor allem jene Frauen in den alten Bundesländern seien von Altersarmut betroffen, die nach wie vor einen "familienorientierten Lebenslauf" favorisierten: Wegen der Kinder steigen sie länger aus dem Job aus, manche bis zu 19 Jahre.
Und wenn sie wieder arbeiten gehen, dann selten in qualifizierten Jobs, sondern häufig in Mini- und Teilzeitjobs. "Diese klassischen Zuverdienerinnen haben ein hohes Risiko, in der Altersarmut zu landen", sagt Barbara Riedmüller.
Die Erwerbsneigung von Frauen im Osten sei nach wie vor höher als im Westen: Während 43 Prozent der Ostfrauen Vollzeit arbeiten, sind es im Westen 21 Prozent. Teilzeit arbeitet im Westen jede fünfte Frau, im Osten ist es nur jede siebte. Nur eine von 25 Frauen im Osten konzentriert sich ausschließlich auf ihre Kinder und die Familie.
Empfohlener externer Inhalt
Daraus ergibt sich, dass 41 Prozent der westdeutschen sogenannten Babyboomerinnen - die Geburtsjahrgänge Anfang der 1960er Jahre - eine Rente unter der sogenanten Grundsicherung auf Hartz-IV-Niveau von 680 Euro zu erwarten haben. Bei den ostdeutschen Babyboomerinnen werden es voraussichtlich 21 Prozent sein.
"Nicht auf den Partner verlassen!"
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als stünden ostdeutsche Frauen aufgrund ihrer häufigeren Erwerbstätigkeit mit ihrer Rente besser da. Sie sind allerdings stärker als westdeutsche von Arbeitslosigkeit betroffen. Und schon kurze Arbeitslosenzeiten mindern die Rentenansprüche: Zwei Jahre Arbeitslosigkeit können ein Rentenminus zwischen 100 und 150 Euro ausmachen.
Die Botschaft der Wissenschaftlerinnen: Frauen sollten sich heute nicht mehr auf eine Absicherung durch ihren Partner verlassen. Im Gegensatz zu früheren Generationen, bei denen Frauen im Westen vor allem wählen konnten zwischen dem Dasein als Hausfrau oder als kinderloser Berufstätiger - im Osten war die Erwerbstätigkeit der Frauen Staatsdoktrin -, haben Frauen heute mehr Wahlmöglichkeiten: Sie können Kinder haben und arbeiten gehen, sie können Teilzeit arbeiten oder zu Hause bleiben. "Daraus resultieren aber auch größere Risiken", warnt Riedmüller.
Die Reallöhne insgesamt sinken, und ein Familieneinkommen reiche häufig nicht mehr aus. Darüber hinaus steige die Zahl der Ehescheidungen und die Zahl der Alleinerziehenden. Die Höhe der Witwenrente hingegen sinke.
Erwerbstätigkeit der Frauen als DDR-Doktrin
"Der Trend bei Frauen muss zur Vollerwerbstätigkeit gehen", sagt Riedmüller. Frauen, die heute schon Vollzeit arbeiten, Kinder haben und nur kurze Babypausen eingelegt haben, bezeichnet sie als "Pionierinnen": "Sie leben ein Modell, das zum Vorteil in ihrer eigenen Biografie ist."
Zumindest ist es ein Vorteil für ihre Rente: Vollerwerbstätige Frauen dürfen mit einer durchschnittlichen Rente zwischen 900 und 1.050 Euro rechnen. Frauen, die vor allem Teilzeit arbeiten, sollten sich darauf einstellen, eine Rente knapp über der Grundsicherung zu bekommen. Und Frauen, die nie oder kaum erwerbstätig waren, werden Beträge weit unter der Grundsicherung erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz