: Niederlagen haben keine Väter
■ Das schlechte Wahlergebnis der Grünen in Schleswig–Holstein bot Bonner Realpolitikern Anlaß zum Öffnen des Mundes / Willi Hoss schickte Glückwunschtelegramm an Engholm: „Ich hätte SPD gewählt“
Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Erwartungsgemäß hat das schlechte Wahlergebnis der schleswig–holsteinischen Grünen scharfe Schuldzuweisungen einiger prominenter Realpolitiker ausgelöst, die trotz der Koalitionsaussage den „fundamentalistischen Kurs“ (Schily) des Landesverbandes verantwortlich machen. Der baden–württembergische Grüne Rezzo Schlauch sprach von einem „Bankrott–Eingeständnis des fundamentalistischen Flügels“; der „blöde Spruch“ vom sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie sei nicht mehr vermittelbar, und die Partei müsse sich zwischen fundamentalistischem und realpolitischem Kurs „langsam entscheiden“. Joschka Fischer nannte die Nie derlage „selbstverschuldet“ und plädierte im Blick auf den Perspektiv–Kongreß der Partei im Juni dafür, „programmatische Versteinerungen aufzubrechen“, wenn die Grünen nicht zu einem „Museum des linken Radikalismus“ werden wollten. Als vorrangig für eine „erste Programm– Runde“ sieht Fischer das Verhältnis Marktwirtschaft/Staat in der Umweltpolitik und die außenpolitische Orientierung der Grünen. Für Aufregung in Teilen der Bundestagsfraktion sorgte ein Glückwunsch–Telegramm, das der Realpolitiker Willi Hoss noch am Wahlabend „spontan“ an Engholm sandte. Wörtlich heißt es darin: „Bei dem Kurs der Grünen in Schleswig–Holstein hätte auch ich die SPD gewählt, um die CDU sicher abzulösen.“ Die Fraktions sprecherin Christa Vennegerts, selbst gemäßigte Reala, zeigte sich „sprachlos“ und „entsetzt“, wie man „der eigenen Partei so in den Rücken fallen“ könne. Es sei „politischer Unsinn“, jetzt hämisch über die Fundis herzufallen; das Wahlergebnis der Nord– Grünen habe nur am Rande mit Strömungspolitik zu tun. Der Bundesvorstand wertet den Wahlausgang als „herben Rückschlag“; den Ausschlag habe dabei die Wählerüberlegung gegeben: „Die Grünen schaffen es doch nicht“. Gegenüber dem Sog zur SPD habe sich die geringe Wählerbindung bei den Grünen als Problem erwiesen. Für die Diskussion gebe die Niederlage „wenig her“; nötig seien Überlegungen, wie „originär grüne Anliegen“ bei Wahlen mit schwierigen Konstellationen herausgestellt werden könnten. Die Vorstands–RealpolitikerInnen Rolf Grösch und Christine Bernbacher hatten dieser Erklärung intern nicht zugestimmt, weil, so Bernbacher, „der linkslastige Kurs“ des Landesverbandes nicht kritisiert werde. Daß Jutta Ditfurth am Wahlabend mangelndes Wahlkampf–Engagement der Realo–Prominenz gebrandmarkt hatte, bezeichnete Christine Bernbacher als „Dolchstoßlegende“, die den „verderblichen Strömungsstreit“ wieder angeheizt hätte. Sie könne es aber auch nicht verstehen, daß Parteifreunde sich aus strömungspolitischen Gründen jetzt gar über das Wahlergebnis freuen würden. Es sei eine Niederlage der ganzen Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen