Nie wieder U-Bahn: Aller guten Dinge drei?
■ U-Bahn-Fahrt gerät zum Horrortrip
Mittwoch abend in der U2: Fahrgäste mit unterkühlten Fingern lockern die Schals und machen es sich im Warmen bequem. Plötzlich richten sich alle Blicke auf eine Frau, die durch den Waggon schwankt. In gekrümmter Haltung und mit ausgestreckter Hand murmelt sie Worte, die keiner versteht. Aber alle wissen, was sie will: Geld. Wie auf Befehl wenden sich die Fahrgäste ab. Als hätte die Frau keine andere Reaktion erwartet, baut sie sich vor drei jungen Leuten auf. Sie faßt sich mit der rechten Hand an den linken Arm und zieht langsam, ganz langsam den Jackenärmel hoch. Sie hält ihren Unterarm direkt unter die drei rotgefrorenen Nasen. Für Medizinstudenten wäre der Körperteil sicher von großem Interesse gewesen: offenes Fleisch, das die Knochen kaum noch bedeckt. Plötzlich ruckt die U-Bahn und die ihr am nächsten sitzende Frau hat das Fleisch zum Greifen nah auf ihrer Jacke. Die Farbe weicht aus ihrem Gesicht. Panisch fingert sie in ihrem Rucksack nach dem Portemonnaie. Groschen, Fünfziger und Markstücke läßt sie außer acht und greift ein Zweimarkstück. Ihre beiden Freunde beeilen sich, sich vor dem nächsten Ruckeln freizukaufen. Die Frau schimpft: „Immer nur dieses Kleingeld. Ich brauche fünfzig Mark für eine Armamputation.“ Die drei nehmen nur noch wahr, daß die Frau den Waggon verlassen hat. Welche Station es ist, scheinen sie genausowenig wissen zu wollen wie die Frau.
Den drei blassen Gesichtern bleibt keine Zeit, sich darüber zu unterhalten, wie teuer eine Armamputation ist. Eine Gruppe von etwa zehn türkischen, arabischen und deutschen Halbstarken steigt ein und verteilt sich im hinteren Teil des Waggons, da wo sie sitzen. Die Baseballkappen bedrohlich tief in die Stirn gezogen und cooler als das Wetter draußen, werfen sie ihre schmächtigen Körper auf die Bänke und sich selbst komplizenhafte Blicke zu. Ein Lächeln huscht über ihre Gesichter, als einer ein Messer rausholt. Bevor die Spannung ihren eigentlichen Höhepunkt erreicht, verläßt die Horde das Abteil.
Erleichtert atmen die drei auf, bis sie Zeugen einer wenig zärtlichen Abschiedsszene am Bahnhof Zoo werden. Sie vom Bahnsteig: „Dann sauf doch deinen blöden Apfelkorn!“ Er zwischen der U-Bahn-Tür: „Du blöde Fotze!“ Wohin sich der Mann, der unter Tränen eine Büchse Bier öffnet, setzt, muß nicht erwähnt werden. Barbara Bollwahn
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