: Nie wieder Kommunismus!
Wie ich mal im Paradies war: ein wunderschöner Abend mit José Carreras und Essen
„Da möchte ich auch hin!“, rief ich aus, und abermals rief ich aus: „Da möchte ich auch hin!“ Dabei stampfte ich trotzig mit den Füßen auf, um meiner Forderung angemessenen Nachdruck zu verleihen. Was war geschehen? Die Familie Scheufele hatte zur Feier des hundertjährigen Firmenjubiläums ihrer gleichnamigen Schmuckfirma eingeladen und ich hatte davon Wind bekommen.
Die Firma Karl Scheufele hat ihren Sitz in Birkenfeld bei Pforzheim und wurde dieses Jahr hundert Jahre alt. Bekannter als die Firma Karl Scheufele ist vielleicht die Firma Chopard, die allerdings auch der Familie Scheufele gehört und zur Crème de la Crème der internationalen Schmuck- und Uhrenhersteller zählt. Und zur Feier des großen Ehrentages sollte es ein Gala-Dinner in Pforzheim geben. Als besonderes Highlight war ein Konzert von José Carreras angekündigt. José Carreras! DER José Carreras, der weltberühmte Supertenor mit den feinen Gesichtszügen und der kraftvollen Stimme, den ich nur aus dem Fernsehen und von Schallplatten kannte und schon verehre, seit ich 14 Jahre alt war. Und da wollte ich gerne hin. Durch eine glückliche Fügung hatte auch ich bald ein freundliches Schreiben vorliegen, mit dem ich ebenfalls auf das spannende Fest eingeladen wurde.
Um festliche Kleidung wurde gebeten und mir war schnell klar, dass ich Herrn Carreras nicht in Trainingsjacke und Cargo-Hose unter die Augen treten konnte. Abendausrüstung musste her, und zwar pronto. Auf die Suche nach einem passenden Kleid möchte ich hier lieber nicht genauer eingehen, nur so viel sei gesagt: Es war ein Drama.
„Willkommen bei Chopard!“, jubelte die freundliche und charmante Pressesprecherin Frau Huber, als sie mich und mehrere Kollegen begrüßte. Kaum hatten wir einen Fuß in das Schmuckfabrikgebäude gesetzt, welches wir zunächst besichtigen durften, umwehte uns schon der angenehme Duft von Luxus, Glanz und High Society – ein Duft, den ich, die ich einen Großteil meiner Jugend in einem kommunistischen Arbeitslager in Dänemark verbringen musste, ganz besonders schätze. Hier war nicht „Die Provinz“, hier duftete es nach Weltstadt, Geschmack und Klasse, hier spürte man quasi das Gold und die Brillanten direkt auf der Haut, man glaubte gar, das Motorenöl der Oldtimer beim großen Mille-Miglia-Rennen zu riechen, dessen Hauptsponsor die Firma Chopard ist. Wir wurden überall herumgeführt und durften alles anfassen.
Zum Mittagessen gab es ein riesiges Buffet, bei dem Gerd-Feinkost Käfer, DER Gerd-Feinkost Käfer persönlich, die leckeren Spätzle auf die Teller lud. Aber ich konnte nicht viel essen. Zweitens wollte ich den Hunger lieber für abends sparen, und erstens saß JOSÉ CARRERAS schon beim Mittagessen mitten unter uns. Er saß einfach dabei und aß! In der Kantine! Nur fünf Meter von mir entfernt! Das kam mir so unwirklich vor, ich musste ihn immer anschauen. Und ich glaube, einmal blickte José Carreras sogar zu mir zurück.
Konnte es noch besser werden?
Ein „kleiner Aperitif“ war vor dem Konzert am Abend in der Pforzheimer Stadthalle angekündigt. In Wirklichkeit hätte man im legendären Schlaraffenland sicher nicht besser versorgt werden können.
Und endlich ging es los … Ich saß ganz vorne. Ich fürchtete, dass ich – bevor endlich José Carreras singen würde – stundenlange Festreden anhören würde. Karl Scheufele sen. (in der Firma heißen alle männlichen Nachkommen Karl mit Vornamen und Scheufele mit Nachnamen) hielt die erste Rede. Ein angenehmer, älterer Herr, der seine Mitarbeiter lobte.
Aber was für eine schöne Überraschung: Die Rede dauerte nur zehn Minuten und dann sprach der nächste Redner, Lothar Späth, auch nur zehn Minuten! Herr Späth sagte: „Ich hör jetzt auf zu reden, denn Sie wollen sicher alle lieber Herrn Carreras hören.“ Hurra! Der Mann hatte Recht!
José Carreras sang in Begleitung des ebenfalls berühmten Pianisten Enrique Ricci über eine Stunde lang spanische und italienische Lieder. Ich bin kein Musikkritiker, aber es war so schön, dass ich zweimal fast geweint hätte vor … naja, wie nennt man das? „Freude“ ist kein angemessenes Wort, „Rührung“ auch nicht, vielleicht heulte ich fast vor „Erlebnis“ … Herr Carreras sang mal schüchtern verhalten, dann wieder leidenschaftlich schmetternd. Die Lieder waren gänsehautmachend schön! Am besten gefiel mir das Lied „Vurria“. Ein paar Mal guckte José Carreras mich beim Singen sogar an!
Selbstverständlich bekam Herr Carreras stehende Ovationen – wenn nicht jemand anderes damit angefangen hätte, hätte ich es gemacht.
Nach dem Konzert wurde der Saal in ein einziges glitzerndes Kerzenmeer umgestaltet! Es gab ein Menü: „Käfer’s Vorspeisen-Variationen: Lachsforelle, Graved Lachs Tatar, Burrata-Tomate, Gänselebertorte, Scampi und Fleischpflanzerl“. Danach: „Rosa gebratenes Kalbsfilet im Gartenkräutermantel an Madeirasauce mit buntem Gemüsebündel und Macaire-Kartoffeln“. Im Anschluss das Dessertbuffet, das Käsebuffet und das Mitternachtsbuffet!
Das Beste aber war José Carreras!!!
Verglichen mit kommunistischen Arbeitslagern gefällt mir die leicht kapitalistisch angehauchte Lebensart ehrlich gesagt viel besser! CORINNA STEGEMANN