Nie den Kopf eingezogen

Vor neun Jahren machte Christine Schanderl als Schülerin mit einem „Stoppt Strauß„-Button Furore, nun soll die Einser-Juristin in Bayern nicht Richterin werden / Strauß‘ Geist lebt in Bayern weiter, doch Christine Andert geb.Schanderl gibt nicht auf  ■  Aus München Luitgard Koch

Vor neun Jahren machte die zierliche junge Frau mit dem frechen Kurzhaarschnitt schon einmal bundesweit Schlagzeilen. Damals, mit 19 Jahren, heftet sich die Schülerin mutig einen „Stoppt Strauß„- Button an die Jacke und trägt ihn auch während des Unterrichts. Der Direktor des Regensburger Albertus-Magnus-Gymnasiums ist von solcherlei Meinungsäußerung nicht begeistert. Christine Schanderl, die nicht will, daß ein Kanzler Strauß die Republik „wendet“, der Schriftsteller mit „Ratten und Schmeißfliegen“ vergleicht, wird von der Schule verwiesen.

Die Schülerin zieht bis vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, um für ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und gegen das generelle Verbot politischer Werbung an bayerischen Schulen zu streiten. Und sie bekommt ihr Recht. Auch heute kämpft die inzwischen 27jährige Rechtsreferendarin vor Gericht - weil sie, Christine Andert geb.Schanderl, in Bayern nicht Richterin werden darf.

Seltsam - hat sich denn nichts geändert seit der „Stoppt -Strauß-Affäre“ im Freistaat? Immerhin: Strauß ist tot, und der neue Ministerpräsident, Max Streibl, versucht sich in moderat-liberalen Tönen. Und Christine Andert geb.Schanderl schloß inzwischen ihr Jurastudium ab - mit einer Eins. Das nutzt allerdings gar nichts: Beim Verfassungsschutz steht die engagierte junge Frau nach wie vor auf der schwarzen Liste. Das bedeutet: Berufsverbot.

Es sei „nicht anzunehmen, daß die Antragstellerin in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen für den Staat Partei ergreift“, teilt ihr das Oberlandesgericht Nürnberg lapidar mit. Als der Hersbrucker Richter Rudolf Heindl zu den „Republikanern“ übertrat, war der gleiche Gerichtsbezirk nicht so zimperlich. Heindls Schritt bleibt ohne rechtliche Konsequenzen. Christine Andert erfährt davon und hält gleichzeitig ihren Ablehnungsbescheid in Händen.

Spätestens da ist für sie klar, daß sie das Berufsverbot nicht hinnimmt. Eigentlich will die junge Frau ja Anwältin werden, könnte also getrost auf die Zulassung als Richterin verzichten. Doch jetzt geht es ihr ums Prinzip und um einige offene Fragen. Zum Beispiel, wie dick mittlerweile eigentlich ihre Akte beim Verfassungsschutz ist und vor allen Dingen, was drinsteht. Die Lösung der Fragen ist höchst einfach: Nach der „Stoppt-Strauß-Affäre“ observierten die Verfassungsschützer die junge Frau weiter. Doch die rebellierte nach wie vor gegen offensichtliche Diskriminierungen, etwa gegen die Entgleisungen ihres damaligen Strafrechtsprofessors Friedrich Christian Schroeder. Der setzte seinen Studenten Fallbeispiele für Sexualdelikte und Abtreibungsverfahren vor, in denen er die agierenden Personen mit Namen wie „Frieda Fettbacke“ oder „Francesco Papagailo“ belegte. In einem Artikel der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ (FAZ) forderte der Strafrechtler gar schärfere Strafen gegen Ausländer als gegen Deutsche, da diese eine geringere Strafempfindlichkeit hätten. Kein Wunder also, daß Christine Andert ihren Professor als „Rassisten“ bezeichnet. Auch diesmal werden die Gerichte bemüht. Schroeder zeigt Christine Andert wegen Beleidigung an. Doch auch in diesem Verfahren geben die Richter der jungen Frau recht. Ihre Reaktion sei „angemessen“ gewesen, da Schroeder als „juristischer Lehrstuhlinhaber“ eine „angesichts unseres Grundgesetzes nicht mehr wohlabgewogene Äußerung“ von sich gegeben habe, schreiben die Regensburger Richter dem Rechtsprofessor ins Stammbuch

Die Liste des Verfassungschutzes über Christine Schanderl ist also lang. Denn alles wurde notiert. Auch, daß die „SCH.“ eine Versammlung zum Gedenken an Günther Sare angemeldet hat, der in Frankfurt unter den Rädern eines Wasserwerfers starb. Was allerdings nach Angaben ihres Anwalts, Rainer Roth, fehlt, ist der Vermerk, daß die Richter ihr im „Strauß-Verfahren“ recht gaben. Und auch die Tatsache, daß das Karlsruher Verfassungsgericht ein Urteil des Essener Amtsgericht aufhob, steht nicht in den Akten. Das Essener Gericht hatte die junge Frau im Jahre 1983 mit Strafvorbehalt verwarnt, weil sie in Zusammenhang mit einer Aufführung von Bertolt Brechts „Herrnburger Bericht“ im Blauhemd der DDR-Jugendorganisation FDJ aufgetreten war.

Unterstützung im Ringen gegen ihr Berufsverbot kann Christine Andert vom Deutschen Richterbund nicht erwarten. Auf eine Anfrage zur „Personalpolitik des bayerischen Justizministeriums“ erklärte Geschäftsführer Marqua: „Wir wissen über den Fall nicht ausreichend Bescheid.“ Die Drückeberger der Bonner Richtervertretung können vom ehemaligen Bundesverfassungsrichter Martin Hirsch einiges lernen. Der ergriff Partei für die engagierte Rechtsreferendarin. Eine „tapfere junge Frau“ sei sie, „die sich immer eingesetzt hat für andere und für die Gerechtigkeit“. Im Gegensatz zur landesüblichen Haltung habe sie nie den Kopf eingezogen. Hirsch: „Das muß man ehren.“