■ Portrait: Nicole aus der Schweiz
„Ich lerne eine Frau kennen, ich begehre sie und möchte küssen, schmusen, Sexualität leben und bin, bevor ich nur etwas von dem leben kann, schon in der Zwickmühle! Wie reagiert sie, wenn ich ihr sage, daß ich HIV- positiv bin? Vertraue ich ihr, auch wenn ich sie nicht gut oder gar nicht kenne? Wird sie mich abweisen, und wenn ja, ertrag' ich das gut momentan ...? Was ist, wenn sie nicht will und das nachher ihren Freundinnen erzählt? Ist mir die Begegnung dieses ,Risiko‘ wert? – Meistens nicht, denn ich lebe Nähe und Sexualität vor allem mit Lesben, die ich schon länger kenne, die um meine Geschichte wissen.“
Nicole, die in der Schweiz lebt, hat früher Drogen gespritzt. Seit sechs Jahren weiß sie, daß sie HIV-positiv ist.
„Als ich es erfuhr, dachte ich, gar keine Sexualität mehr leben zu können, um ja keine zu ,gefährden‘. Dieses mir selbst auferlegte Zölibat lebte ich über ein Jahr.“
Doch dann verliebte sich Nicole in eine andere HIV-positive Frau. „Wir lebten, was wir leben wollten; keine Angst, die andere anzustecken.“ Kurze Zeit später verliebte sie sich noch in eine andere Frau, die bis dahin keinen Test gemacht hatte.
„In dieser Beziehung fingen die Gespräche, Auseinandersetzungen zu Safer Sex an. Was ist für sie risikoreich und was für mich? Uns während der Menstruation sexuell zu lieben gefiel uns beiden nicht, so fiel die größte Übertragungsmöglichkeit schon mal weg, aber was ist mit Analverkehr? Und unsere Muscheln küssen, lecken? Nach dem Buch von Diane Richardson [„Frauen und die Aids-Krise“, d.Red.] war das schon gefährlich.“
Daß Lesben von Aids nicht betroffen sind, ist ein weitverbreiteter Irrtum. 79 Fälle HIV-infizierter Lesben hat eine Studie der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde (CDC) bis Ende September 1989 festgestellt. Davon hatten 95 Prozent Drogen gespritzt, die anderen 5 Prozent waren bei Bluttransfusionen infiziert worden. Das CDC hat sich bislang jedoch geweigert, Übertragungsmöglichkeiten von Frau zu Frau zu erforschen. Die Begründung: es gebe zu wenig Fälle. Weltweit ist bisher in drei Fällen nachgewiesen worden, daß das Virus durch lesbischen Sex übertragen wurde.
In Scheidensekreten und Menstruationsblut ist bei HIV-positiven Frauen das Virus so hoch konzentriert, daß es zu einer Übertragung kommen kann. Auch wenn das Risiko für Lesben, sich mit der tödlichen Immunschwäche zu infizieren, vermutlich geringer ist als das anderer Gruppen, ist das kein Grund, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.
Es gibt auch für Lesben eine Reihe von Risiken: Viele hatten vor oder auch nach ihrem Coming-out Sex mit Männern; Und wer glaubt, Lesben praktizierten nur „Kuschelsex“, irrt. Es gibt Praktiken wie Faustficken, bei denen es zu einem Blutaustausch und somit zu einer HIV- Infektion kommen kann. Jede muß sich ihrer Risiken bewußt sein und sich überlegen, wie sie sich schützen kann, zum Beispiel mit Gummihandschuhen.
Die anfängliche Unsicherheit, was für sie safe ist und was nicht, hat Nicole überwunden. Inzwischen kann sie auch einen Teil der Verantwortung an ihre Partnerin abgeben. „Wenn ich sie küsse, sage ich vorher, daß ich positiv bin, und sie soll wissen, was für sie Safer Sex ist. Seit ich nicht mehr so viele Schuldgefühle übernehme, geht es mir besser, kann ich wieder leichter lieben.“ Dorothee Winden
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