Nicole Kidman in Bestsellerverfilmung: „Distelfink“ ist viel zu gediegen
John Crowleys Verfilmung von Donna Tartts Bestseller „Der Distelfink“ ist genau durchdacht und ohne Makel. Genau das tut dem Film nicht gut.
Was kommt dabei heraus, wenn man einen mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Bestseller von einem talentierten Regisseur mit hervorragenden Darstellern und einem der besten Kameramänner Hollywoods verfilmt? Im Normalfall ein zumindest sehenswerter Film, im Fall von John Crowleys Verfilmung von Donna Tartts Bildungsroman „Der Distelfink“ ein Film, der eigentlich kaum etwas falsch macht, aber doch nicht richtig ist.
Im Nachhinein betrachtet war es vielleicht keine gute Idee, einen im englischen Original knapp 800, in der deutschen Übersetzung weit über 1.000 Seiten langen Roman, der das Aufwachsen und die Selbstfindung eines jungen Mannes beschreibt, auf zweieinhalb Kinostunden zu komprimieren. Zumindest dann nicht, wenn man sich so sklavisch an die Vorlage hält wie es Drehbuchautor Peter Straughan tut.
Wie die Vorlage springt auch der filmische „Distelfink“ zwischen zwei Ebenen hin und her: Der Gegenwart, in der der Icherzähler Theo Decker (Ansel Elgort) in einem Amsterdamer Hotelzimmer sein Schicksal beklagt und der Vergangenheit, in der der 13-jährige Theo (Oakes Fegley) bei einem Terroranschlag im New Yorker Metropolitan Museum seine Mutter verliert.
Im Taumel der Explosion bekommt der junge Theo von einem sterbenden Mann zwei Dinge übergeben, die seinen Lebensweg prägen werden: Einen Ring und ein kleines Bild des Rembrandt-Schülers Carel Fabritius, das den titelgebenden Distelfink zeigt. Das Bild versteckt Theo, durch den Ring gerät er an den Restaurator Hobie (Jeffrey Wright), der antike Möbel aufpeppt und nicht immer als das verkauft, was sie eigentlich sind.
Moralische Fallstricke seiner Existenz
Zwei weitere Personen prägen Theos Leben: Mrs. Barbour (Nicole Kidman), die Mutter eines Schulfreundes, bei dem Theo als Halbwaise einige Zeit unterkommt, und der Ukrainer Boris (als Teenager Finn Wolfhard, als Erwachsener Aneurin Barnard), der ihn in der Wüste Nevadas mit Alkohol und Drogen in Berührung bringt und ihn schließlich mit den moralischen Fallstricken seiner gesamten Existenz konfrontiert.
Nicht nur, dass Theo sich für den Tod seiner Mutter verantwortlich fühlt, vor allem das gestohlene Gemälde, das er wie einen Talisman mitführt, aber jahrelang nie aus seiner dicken Verpackung nimmt, lastet auf seinem Gewissen, macht ihn in seinen Augen zu einem Betrüger, der sich seinen Platz in der New Yorker Gesellschaft nur erschlichen, aber nicht verdient hat. Was im Roman seitenlange introspektive Passagen füllt, gerät in der filmischen Adaption zu kaum mehr als dem Abhaken von Momenten.
Zwischen Manhattan, Nevada und Amsterdam entwickelt sich die Handlung, neben den genannten treten hervorragende Schauspieler wie Luke Wilson oder Sarah Paulson auf. Dazu taucht Roger Deakins, mit 13 Oscar-Nominierungen einer der renommiertesten Kameramänner aller Zeiten, das Geschehen in warmes, melancholisches Licht. So gediegen wie das Upper-West-Side-Appartment, in dem Theo Teile seiner Jugend verbringt, wirkt auch der Film, genau durchdacht und ohne Makel, doch am Ende auch ohne Leben.
Trauer, Entfremdung, Wohlstand und Macht
Man ahnt, was Crowley an dem Stoff reizte: ein klassischer und doch moderner Bildungsroman, erzählt aus der Ich-Perspektive, mit einem komplexen, ambivalenten Charakter als Hauptfigur. Immer wieder scheinen die Themen, die den Roman durchziehen, auch in der Adaption auf: die Trauer eines Teenagers, der seine Mutter verloren und vom abwesenden Vater entfremdet ist; der an Wohlstand und Macht der besseren Gesellschaft riechen kann, danach strebt, ein Teil von ihr zu werden, aber durch die Umstände gehindert wird, seinen Traum zu verwirklichen.
„Der Distelfink“. Regie: John Crowley. Mit Ansel Elgort, Nicole Kidman u. a. USA 2019, 150 Min.
Der Zufall – oder das Schicksal – ist es, der Theos Existenz prägt, der seinen Weg bestimmt und auch den Film. Was in der epischen Form eines Romans funktionieren kann, ist im Film deutlich schwerer: ein Stationendrama, das weniger von einer starken äußeren Handlung angetrieben wird als versucht, über starke innere Konflikte zu erzählen. Der Ansatz mag ambitioniert sein, im Ergebnis ist er zumindest im Fall von „Der Distelfink“ viel zu gediegen, um als Film zu überzeugen.
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