: Nichts ist unter Kontrolle
Das winzige Schloss-Theater in Moers zeigt „Der Drang“ von Franz Xaver Kroetz. Ulrich Greb, seit dieser Spielzeit Intendant, hat das Radikal-Volksstück mundartgerecht auf Pressspan inszeniert
VON PETER ORTMANN
Rein mit ihr in die Grube, drauf auf den Schädel. Beim brutalen Hüpfen wird gejodelt: Hilde macht ihre Nebenbuhlerin und angestellte Floristin fertig. Die Frau des Friedhofsgärtners hat dafür stets ein frisches Grab zur Hand und halbfertige Kränze liegen auch immer herum. Doch irgendwie schafft es Mitzi furchtbar entstellt wieder aus dem Loch heraus. „Isch hätt heut gern mei freie Tag“, schwäbelt sie. Zum Brüllen komisch die bayrische Antwort von Hilde: „Des hoast dir a verdient“.
Ulrich Greb inszeniert mit „Der Drang“ von Franz Xaver Kroetz sein zweites Stück als Intendant am Schlosstheater Moers. Eigentlich müssten die Zuschauer dafür in Schlangen vor der Kasse stehen, denn das Haus hat nur rund 90 Plätze. Das radikale Volksstück handelt vom harmlosen Exibitionisten Fritz, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Haus seiner Schwester unterkommt. Dafür gerät er aber in die sexbesessenen Fänge seines Schwagers Otto und der Floristin Mitzi. Diese Normalos nach außen – „So was sagst du zu mir nicht in der Öffentlichkeit“ (Otto) – treiben den jungen Mann, der gegen seine heilbare Neigung ankämpft erst in die Selbstamputation und dann aus dem Haus.
Greb hat für seine Arbeit am Kroetz-Stück vier ausgezeichnete junge Schauspieler gefunden und ist glücklich: „Die sind unglaublich schnell zu einem Ensemble geworden“. Das spielt sich im konischen Presspanbühnenbild von Birgit Angele und den Kostümen mit angenähten Geschlechtsteilen von Elisabeth Strauß die Seele aus dem Leib. Besonders ran muß der österreichische Gastschauspieler Roland Silbernagel als Otto, er zeigt einen der Rocky Horror Picture Show entsprungenen Friedhofsgärtner zwischen Dauermasturbation und klimaanlagengesteuerter Grabblumenpflege. Als er in der Regenbogenpresse etwas über Aids in Knästen erfährt, ist er nicht mehr zu halten und rückt derWohnung heulend mit der Unkrautvernichtungsspritze zu Leibe. Greb findet immer die richtige Idee zur passenden Szene. Obwohl die Tragödie, die auf dem Rücken des ruhiggestellten Fritz ausgetragen wird, eigentlich nachdenklich machen sollte, herrscht im schlauchartigen Zuschauerraum brüllende Fröhlichkeit.
Dieses Stück wird noch Jahrhunderte zeitgemäß bleiben. Denn die falsche Tugend des deutschen Spießbürgertums ist unausrottbar.