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Archiv-Artikel

Nichts für Träumer und Trottel

Joseph Stiglitz will Wege für eine sozial gerechtere Globalisierung weisen. Seine Vorschläge sind differenziert und anregend

VON ULRIKE WINKELMANN

Im vorletzten Kapitel seines neuen Buchs, „Die Chancen der Globalisierung“, stellt Joseph Stiglitz den Plan vor, einen „Weltdollar“, den global greenback, als internationale Leitwährung einzuführen. Dies würde das Weltfinanzsystem vom US-Dollar abkoppeln und dadurch stabiler machen. Denn die US-Schuldenpolitik gefährdet den Dollar, der ohnehin bereits kräftig an Geltung und Härte eingebüßt hat. Am Ende würden alle Länder draufzahlen, die Währungsreserven in Dollar halten – also fast alle.

Also sollte eine neue Währung her, deren Wert nicht vom Gebaren einer einzelnen Nation abhängt, und mit der sich Krisen im Weltfinanzsystem ausbügeln lassen. „Die Idee ist nicht neu, aber vielleicht ist die Zeit jetzt dafür reif“, schreibt Stiglitz.

Um ihn fortzusetzen: Manche von Stiglitz’ Forderungen sind nicht neu, aber vielleicht wird die Zeit dafür umso reifer, wenn er sie noch einmal ausformuliert. Der heute 63-jährige Wirtschaftsprofessor an der New Yorker Columbia-Universität war Wirtschaftsberater von US-Präsident Bill Clinton, dann bis 2000 Chefökonom der Weltbank und bekam 2001 den Wirtschaftsnobelpreis. 2002 erschien seine Abrechnung mit der Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF): „Die Schatten der Globalisierung“.

Die Politik des IWF, die Entwicklungsländer zur Öffnung ihrer Märkte zu zwingen, ohne sie konkurrenzfähig werden zu lassen, habe versagt und die Globalisierung in Verruf gebracht, schrieb Stiglitz damals und wurde so zum Kronzeugen der Globalisierungskritik. Es gibt keinen angeseheneren Ökonomen, der so klar und fundiert erklärt: Der Marktfundamentalismus hat nicht nur mehr Ungerechtigkeit geschaffen, sondern er ist auch als unrealistisch und ineffizient entlarvt. Der schnellstmögliche Abbau von Handelsschranken nützt nicht etwa allen und meist nicht einmal vielen, sondern oftmals nur wenigen.

Jetzt lässt Stiglitz seinen dramatischen Schilderungen von 2002 eine Reihe von Vorschlägen folgen, wie die Industrieländer, vor allem die USA, zur Wiedergutmachung in die Pflicht genommen werden können. Er beginnt auf weitgehend bekanntem Terrain: bei den Landwirtschaftssubventionen in den USA und der EU.

Allein die rund 25.000 steinreichen Baumwollfarmer der USA bekommen 3 bis 4 Milliarden Dollar an Subventionen pro Jahr und weiten ihre Produktion deshalb stetig aus. Im Gegenzug sinkt der Weltmarktpreis für Baumwolle stetig – und das Jahreseinkommen von Millionen afrikanischer Kleinbauern gleich mit. Da das Gros der US- wie auch der EU-Subventionen an Großbetriebe und -konzerne geht, verlangt Stiglitz hier mit dem mittelfristigen Abbau wenigstens eine Deckelung.

Schutzzölle, und seien sie befristet, lässt Stiglitz den Industrieländern nicht durchgehen – etwa auch die 2005 eingerichteten Wälle gegen die chinesische Importtextilien-„Springflut“. Schließlich hätten nach der Aufhebung der Textilquoten die USA und die EU zehnjährige Übergangsfristen gehabt, aber nicht genutzt. Stiglitz weiß, dass das aus Sicht der US- und EU-Textilarbeiterinnen etwas anders aussieht. Natürlich seien die Geringqualifizierten der Industrieländer auch von der Globalisierung bedroht. Doch sei dem nur mit stärkeren Sozialstaaten, stabilen Löhnen und einer stärkeren Steuerprogression beizukommen.

Er sieht, soll das heißen, die Ursache für Arbeitslosigkeit nicht etwa in angeblich globalisierungsuntauglichen Lohnhöhen, Sozialabgaben und Steuern, sondern darin, dass die Industrieländer mangelhaft in Innovation und Bildung investieren, und im Übrigen in der restriktiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Diese Absätze kommen ganz ohne direkte Kritik an der deutschen Regierungskoalition aus – lassen sich aber als solche verstehen.

Stiglitz fordert zudem den Zugang der Entwicklungsländer zu günstigen Medikamenten und das Ende der Biopiraterie, womit Konzerne die natürlichen Ressourcen und das traditionelle Wissen der Entwicklungsländer zu Geld machen wollen. Er erklärt, wieso ausgerechnet die Länder mit den reichsten natürlichen Ressourcenvorkommen die ärgsten Diktaturen sind – der „Ressourcenfluch“ – und wie die Staatengemeinschaft mithelfen soll, dem entgegenzuwirken.

Auch prangert er das Kioto-Drama an: wie das Protokoll zum Klimaschutz daran krankt, dass die USA nicht mitmachen, und sich seither auch die Entwicklungsländer gegen jeglichen Klimaschutz unter Verweis auf die USA sperren, die ihrerseits nun behaupten, ohne jene machten sie sowieso nie mit. Stiglitz schlägt vor, die US-Weigerung, Treibhausgase zu reduzieren, als eine verbotene Subvention zu bewerten und die USA deshalb mit Handelssanktionen zu belegen. Er verlangt die Fortsetzung der Entschuldungspolitik und mehr Verantwortung für Kreditgeber. Letztlich aber müsse eine internationale Insolvenzagentur her, die die Kriterien für Ent- und Umschuldung zu formulieren habe.

Stiglitz’ Rundumschlag zur Rettung der Welt ist einseitig, und man mag bezweifeln, dass er notwendigerweise einseitig ist. Könnte es sein, dass afrikanische und südamerikanische Regierungen bei der Verwendung von Krediten furchtbar geschlampt haben? Dass Korruption nicht nur etwas ist, was durch IWF und USA gefördert wird? Dass auch die konkreten Verhandlungspartner der Entwicklungsländer um mehr Transparenz, mehr Teilhabe und mehr Gerechtigkeit ihrerseits große Undemokraten sind?

Es braucht niemand zu unterstellen, dass Stiglitz seine Vorschläge selbst für schnell umsetzbar hält. Allemal aber zeigt er, dass sich keiner in die Träumer- und Trottel-Ecke stellen zu lassen braucht, der der Globalisierung Gerechtigkeit beibringen will – und dies nicht bloß mit ökonomischen, sondern, Schreck lass nach, auch mit moralischen Argumenten und Forderungen. Er ist den Nichtregierungsorganisierten weltweit ein würdiger Pate. Hoffentlich wird er nicht nur von ihnen gelesen.

Joseph Stiglitz: „Die Chancen der Globalisierung“. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag, Berlin 2006, 448 Seiten, 24,95 Euro