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Archiv-Artikel

Nichts als Musik

KULTURGESCHICHTE Wer ist eigentlich die Sing-Akademie, der das Haus zugesprochen wurde, in dem das Maxim Gorki Theater spielt? Ein Besuch bei einer alten Chorgemeinschaft

VON BARBARA BEHRENDT

Als im Dezember der Bundesgerichtshof (BGH) nach über 20 Jahren Rechtsstreit urteilte, die Sing-Akademie zu Berlin sei Eigentümer des Gebäudes, in dem das Maxim Gorki Theater untergebracht ist, stellten sich gleich zwei Fragen: Wer, bitte, ist eigentlich die Sing-Akademie? Und: Wie wird sie mit dem Theater im Haus umgehen? Zeit für einen Ortsbesuch.

Wobei der Ort die Villa Elisabeth in der Invalidenstraße ist, in der die Proben und Veranstaltungen der zwar jetzt hausbesitzenden, letztlich aber doch heimatlosen Sing-Akademie stattfinden. Ihr derzeitiger Stammsitz, in Anführungszeichen. Es ist kurz vor Weihnachten. Gut hundert Menschen strömen in den schönen Raum mit der verwitterten Stuckbalustrade, und es werden immer mehr, die sich die Notenblätter abholen.

Im Dezember, so heißt es, ist der Andrang zum „offenen Singen“ besonders groß. Denn dann steht das Weihnachtsoratorium auf dem Programm – und jeder, der Noten lesen kann, ist eingeladen, mitzusingen oder im Orchester mitzuspielen. Zuvor hatte der Mädchenchor die Türen geöffnet. „Wer gern aus vollen Halse brummt, summt oder singt, ist herzlich willkommen!“, heißt es auf einem Flyer.

Im Geist der Demokratie

Damit ist das wichtigste Merkmal der Akademie benannt: Sie ist eine Vereinigung im Geist der Demokratie, die nichts als Musik machen will. Und sie hat Tradition: Die „Sing-Akademie zu Berlin“ ist die älteste gemischte Chorvereinigung der Welt. Hier sangen seit der Gründung 1791 Männer mit Frauen, Katholiken mit Protestanten und Juden, Adlige mit Bürgern. Nicht verwechseln darf man sie mit der „Berliner Singakademie“, die sich nach dem Mauerbau im Osten der Stadt gegründet hat.

Die Geschichte der Sing-Akademie ist mit so berühmten Namen verknüpft, dass man sich fragt, warum sie eigentlich nicht jedem Berliner ein Begriff ist, heute. Ihr Haus am Festungsgraben, jetzt eben die Heimat des Gorki-Theaters, wurde nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel erbaut und war damals der größte Konzertsaal Berlins. Hier spielten Franz Liszt, Johannes Brahms und Richard Strauss. Hier dirigierte Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 die wiederentdeckte Matthäuspassion. Indem sie die Kirchenmusik in den Konzertsaal holte, verlieh die Sing-Akademie der Musik eine neue künstlerische Bedeutung.

Heute leitet Kai-Uwe Jirka den Hauptchor mit gut hundert Mitgliedern, drei kleinere Chöre bestehen außerdem. Jirka ist auch Leiter des Staats- und Domchors an der Universität der Künste (UdK). „Seit er 2006 zu uns kam, geht es bergauf“, sagt der Vorstandsvorsitzende Georg Graf zu Castell-Castell, dem das schlichte Georg Castell mehr behagt. Nach der Wende galt der Verein künstlerisch als eher bedeutungslos.

Georg Castell also ist der, den man fragen muss, wenn man das BGH-Urteil verstehen will. Er ist Jurist und vertrat die Sing-Akademie im Rahmen des gleich nach der Wende aufgenommenen Rechtsstreits um das Haus 2004 vor dem Verwaltungsgericht. Ob er stolz ist über den gewonnenen Prozess? „Stolz ist ein mir fremdes Gefühl, aufzutrumpfen nicht der Stil der Akademie.“

Man glaubt es ihm gern. Castell wirkt so wenig überheblich wie die Chorgemeinschaft, der er vorsteht. Der Rechtsstreit war kompliziert: Als sich die Akademie 1991 als Eigentümerin ins Grundbuch eintragen lassen wollte, argumentierte das Land Berlin, die Sing-Akademie bestehe nicht mehr – sie sei nach dem Krieg von der sowjetischen Besatzungsmacht verboten worden. Das aber hatte der damalige Leiter Georg Schumann durch eine Angliederung an die UdK zu verhindern gewusst. Zweitens sei die Akademie von der Roten Armee enteignet worden. Auch das stimmte nicht: Das Haus wurde von den Besatzern nur in Beschlag genommen, nicht enteignet. Der Stempel, der es seit 1961 als „Eigentum des Volkes“ ausweist, wurde versehentlich gesetzt, das ist für den Bundesgerichtshof eindeutig.

Was hat die Sing-Akademie nun mit dem Haus vor, in dem seit 1952 das Gorki spielt? „Das Theater soll gern dort bleiben“, sagt Castell. Der Theaterleitung hat er das sofort mitgeteilt, der Gorki-Geschäftsführer Klaus Dörr spricht von einem „angenehmen Umgang“. Auch der Kultursenat ist zuversichtlich, noch im Januar einen Pachtvertrag auszuhandeln. „Wir haben hier keine Suhrkamp-Verhältnisse“, sagt der Sprecher von Kulturstaatssekretär André Schmitz. Und: „Der Standort des Gorkis ist gesichert.“

Konzentriert auf die Kunst

Ob die Umbauten, die das Land in den vergangenen 60 Jahren bezahlt hat, verrechnet werden und wer künftig für die Instandhaltung zuständig ist, muss im Vertrag festgelegt werden. Ein Dauerstreit wie zwischen dem Berliner Ensemble und Rolf Hochhuth, dem Eigentümer der Immobilie, hält Castell für ausgeschlossen. „Wir würden nie künstlerische Aspekte im Pachtvertrag festlegen“, sagt er entschlossen. „Wir möchten ein Konzert am Gorki nur geben, wenn es programmatisch passt und gewünscht ist.“ Wie das auch bisher bereits so gehandhabt wurde.

Was nicht heißt, dass es immer so bleiben muss. „Wenn man sich überlegt, dass es als Chorhaus konzipiert war, könnte man die Vision entwickeln, das Gebäude irgendwann wieder so zu nutzen.“ Wie die Sing-Akademie das finanziell stemmen sollte, bleibt fraglich. Schon ein offensives Marketing wäre unerlässlich – und das ist ebenfalls nicht Stil der Chorgemeinschaft. Castell weiß: „Die Akademie war immer dann am erfolgreichsten, wenn sie introvertiert war und sich auf die Kunst konzentriert hat.“