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Archiv-Artikel

blüchels medizinkritik Nichts Neues, Doc

„Heilen verboten, töten erlaubt“ von Kurt G. Blüchel ist ein ärgerliches Buch. Es ist sprachlich und stilistisch schlecht. Schon auf der ersten Seite findet sich das „riesige Labyrinth des Gesundheitswesens“ „auf gefährlichem Kollisionskurs“ – und die übrigen 400 Seiten werden nicht besser. Es erfüllt die selbst gesteckten Ansprüche nicht: Machenschaften der Ärztekartelle sollen aufgedeckt werden. Doch der Hauptteil des „recherchierten“ Materials besteht offensichtlich aus den Zeitungen abgeschriebenen Fällen von der Sorte „Arzt sägte falsches Bein ab“.

Das Buch arbeitet außerdem historisch unsauber: Alles, was sich mit dem NS-Regime in irgendeinen Zusammenhang bringen lässt, wird als faschistisch dargestellt. Das Prinzip dahinter lautet: Hitler war Vegetarier, also sind Vegetarier Faschisten. So schlicht kann man die Ärztevereinigungen jedoch nicht diskreditieren, selbst wenn die deutschen (nicht jüdischen, nicht emigrierten) Ärzte sich im Vergleich zu anderen Berufsständen als besonders ekelhafte Nationalsozialisten dauerhaft in Misskredit gebracht haben.

Der Erkenntnisgewinn, den uns der Autor verschiedener populär-, also unwissenschaftlicher Bücher zum Thema „medizinisch-industrieller Komplex“ verschafft, beschränkt sich auf die wenigen Passagen, da er andere ordentlich zitiert: Juristen erläutern die Geheimnisse der ärztlichen Haftpflicht. Alexander Mitscherlich kommt ausführlich zu Wort mit seinen Beobachtungen der Nürnberger Prozesse gegen die wenigen dort angeklagten Ärzte.

Da hört es mit den wertvollen Informationen aber auch schon wieder auf. Doch das Buch ist nicht nur ärgerlich, weil es seine eigene These nicht belegen kann: Dass es sich bei der organisierten Ärzteschaft um ein Syndikat handelt, das aus Profitgier erstens die Gesundheit der Bevölkerung zu opfern willens ist und zweitens das solidarische Versicherungssystem vor die Wand fahren wird.

Blüchels Buch verstimmt die LeserIn auch deshalb, weil gerade die aktuelle Gesundheitsreform allen Anlass bietet, über die Rolle und Lobbymacht der Ärzteverbände nachzudenken, insbesondere die der Kassenärztlichen Vereinigungen, in denen die niedergelassenen Ärzte (zwangs-)organisiert sind.

Da wäre ein Werk auf dem jüngsten Stand der Debatte eine große Chance gewesen, Hintergründe aufzuarbeiten. Immerhin sind die Ärzte tatsächlich die einzigen Beteiligten im Gesundheitswesen, die durch das milliardenschwere „Reform“-Paket nicht nur nichts verlieren, sondern dank neuer Vergütungsformen sogar gewinnen. Selbst die Pharmaindustrie muss einen zwar lächerlichen, aber immerhin erwähnenswerten Beitrag leisten.

Doch Kurt G. Blüchels Buch hat nichts Neues zur Debatte beizutragen. Im Gegenteil, es diskreditiert obendrein die Kritik an der Macht der Ärztekartelle. Mit solchen Kritikern werden die organisierten Ärzte auch weiterhin gut leben können.

ULRIKE WINKELMANN

Kurt G. Blüchel: „Heilen verboten, töten erlaubt. Die organisierte Kriminalität im Gesundheitswesen“. C. Bertelsmann Verlag, München 2003, 416 Seiten, 22,90 Euro