: Nichten an die Kameras
Wundertütenstimmung: Auf dem Super8-Abend im Kino 46 kannten selbst die Macher ihre Filme noch nicht. Musiker improvisierten zu den Bildern
Wann gibt es schon mal eine wirkliche Premiere? Beim Theater können viele bereits bei den Proben die Inszenierungen begutachten, beim Film gibt es Screenings für die Mitwirkenden, Previews und Pressevorstellungen. Uraufführungen jungfräulicher Werke sind selten. Und deshalb war der Super8-Filmabend im Kino 46 eine radikale Veranstaltung.
Neun Filmemacher hatten jeweils eine Super8-Kassette belichtet und an das Bremer Filmbüro gesandt, wo die Entwicklung veranlasst wurde. Im Kinosaal saßen jetzt die Bremer Musiker Jörn Schipper, Tobi May, Björn Groos und der extra aus Berlin angereiste Mark Scheibe, um zu den noch nirgendwo gesichteten Filmen Soundtracks zu improvisieren. Sie durften nicht einmal vorher bei den Regisseuren nachfragen, um was es denn in ihren Werken geht. Der Begriff „prima vista“ bekam da eine ganz neue Bedeutung.
Es herrschte eine ganz besondere Wundertütenstimmung im Kino 46. Wenn es ein Kriterium ist, wie gebannt ein Publikum auf die Leinwand schaut, dann waren alle Filme große Erfolge. Natürlich war dort vieles unscharf, zu dunkel oder zu hell, und einige Werke blieben dadurch eher kryptisch.
Warum etwa Holger Tepe aus Osnabrück drei Minuten lang ein Foto mit zwei völlig unbekannten Menschen abfilmte, hätte sich vielleicht aus dem vorangestellten Text von Thomas Bernhard erschlossen: allein, er war leider überbelichtet und deshalb unlesbar. Dennoch bekam gerade dieser Film die lautesten Lacher, denn Mark Scheibe spielte dazu auf dem Klavier seine Deutungsversuche, und diese spiegelten sehr komisch die allgemeine Ratlosigkeit.
Manchmal konnte man auch gerade noch erkennen, wie gut ein Film mit nur etwas mehr Belichtungszeit gewesen wäre. Aber wirklich durchgefallen ist kein Werk.
Die wohl schönste Idee hatte Super8-Veteran Reinhard Westendorf, der die Kamera einfach seinen beiden vier- und zweijährigen Nichten Anne und Lea in die Hand gab und diese an einem schönen Sommertag alles filmen ließ, was ihnen so vor die Augen kam. Björn Groos spielte dazu auf seinen Instrumenten, die er teils auf dem Flohmarkt gefunden, teils dem Sohn aus dem Kinderzimmer geklaut hatte, eine genau passende Spieldosenmusik.
Aber es ging hier gar nicht darum, den besten Film auszuwählen. Der Abend war eher eine Performance als eine Vorführung. Selbst die beiden Vorführerinnen konnten dadurch, dass sie denn Film auf der Leinwand in ein Weißbild auslaufen ließen oder abblendeten, die Wirkung des Werkes verändern. Und natürlich schielte man, wenn das Licht anging, verstohlen zu den RegisseurInnen, um zu sehen, wie die auf ihrer Filme reagierten. Wilfried Hippen