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■ Pressezensur in der TürkeiNicht nur die ARD

Sie sind wieder frei, die ReporterInnen des ARD- Studios Istanbul, die von der türkischen Politischen Polizei seit Samstag festgehalten wurden, und so könnten wir uns ja beruhigt zurücklehnen. Doch mit der Aktion, bei der erst das gesamte Filmmaterial der Journalisten beschlagnahmt, in die zwei Stunden entfernte Provinzhauptstadt gebracht und dort auf „antitürkische Propaganda“ untersucht wurde, hat die Mißachtung der Pressefreiheit durch die Regierung in Ankara einen neuen Höhepunkt erreicht. Sollte die ARD künftig allen AuslandskorrespondentInnen, um lästige Zeitverzögerungen zu vermeiden, gleich ein Vorführgerät auf jede Reportagereise in Krisengebiete mitgeben, um den lokalen Behörden des Drehortes bei Bedarf ihre Beta-Kassetten zur Zensur vorzulegen?

Zufällig waren auf den Kassetten des ARD-Teams, das einen Film über die Minderheit der Lhasen drehen wollte, nur Meer und Berge zu sehen. Was aber, wenn sie wirklich schon Interviews gemacht hätten? In der Türkei kann jede Regierungskritik als „antitürkisch“ ausgelegt werden.

Vor allem: Hätten die Demarchen des Auswärtigen Amtes, die sicherlich zur Freilassung beigetragen haben, auch dann geholfen, wenn es sich nicht um die deutschen Mitarbeiter Dieter Sinnhuber und Gabriele Ohl gehandelt hätte? Der ganz gewöhnliche Umgang mit kritischen Journalisten türkischer Staatsangehörigkeit läßt das Gegenteil vermuten.

Die festgehaltene Gabriele Ohl selber hat diese bittere Erfahrung schon gemacht. Ihr Ehemann Günay Aslan ist ebenfalls Mitarbeiter des ARD-Studios Istanbul – derzeit allerdings an der Arbeit gehindert: Ihm halfen alle Interventionen von Botschaft und Intendanten des Bayerischen Rundfunk nichts, als ihn die türkische Justiz zu zwei Jahren Gefängnis verteilte. Sein Vergehen: Artikel, die er für die Tageszeitung Cumhuriyet über ein Massaker verfaßt hatte, das 1943 an 33 kurdischen Bauern verübt wurde, veröffentlichte er noch einmal als Buch und kommentierte darin auch die Situation in der Südosttürkei. Das Werk wurde verboten, sein Autor nach dem Antiterrorgesetz angeklagt.

Vor allem das Schicksal der über die Lage in Türkisch-Kurdistan berichtenden Zeitung Ozgür Ülke zeigt, wie wenig den türkischen Behörden das freie Wort gilt und wie, gleichsam automatisch, jede journalistische Äußerung, die den Regierungsstandpunkt zu Kurdistan nicht internalisiert hat, als Staatsfeind behandelt wird. Von den seit April erschienenen 161 Ausgaben wurde nicht weniger als 157 beschlagnahmt. Sechzehn seiner Journalisten befinden sich im Gefängnis. Vielleicht dient die Publizität um das festgehaltene ARD-Team dazu, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Michael Rediske

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