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Archiv-Artikel

Nicht ihr Revier

Nur wenn Rechtsextremisten Erfolg haben, gilt das als eine interessante Geschichte. Warum eigentlich?Ein Besuch im Ruhrgebiet, wo die NPD seit vierzig Jahren vergeblich versucht, einen Fuß auf den Boden zu bekommen

AUS DEM RUHRGEBIET ROBIN ALEXANDER

Keine halbe Stunde nach dem Auftauchen der NPD schreitet der Rechtsstaat ein. Der Rechtsstaat nuschelt zwar ein wenig durch einen kleinen grauen Schnauzer, aber was er sagt, ist unmissverständlich. Klaus Demuth, 53, Polizeihauptkommissar in Dortmund-Scharnhorst, setzt der NPD, die „nach Sachsen jetzt auch Nordrhein-Westfalen erobern“ will, in schönstem Amtsdeutsch auseinander, dass die hinteren Beine ihres Tapeziertisches auf einem Privatgrundstück stehen. Das geht nicht. Ein Vertreter der Eigentümer hat sofort die Polizei gerufen. Außerdem parkt der schwarz lackierte VW-Bus, aus dem die Liedzeile „Das ganze Deutschland soll es sein“ plärrt, halb auf dem Gehweg. Das geht auch nicht.

Die sieben anwesenden Nationaldemokraten sind eine Woche vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ein bisschen verzweifelt. „Wenn wir direkt vor Geschäften aufbauen, beschweren sich regelmäßig die Inhaber“, beklagt sich der Älteste. Es ist Udo Voigt, der Bundesvorsitzende der Partei. An diesem gepflasterten Nebenzugang zum Einkaufszentrum Scharnhorst – einer dieser hässlichen Fußgängerzonen, die viel typischer sind für das heutige Ruhrgebiet als Fördertürme und Halden – kommen nur unregelmäßig Leute vorbei. Und nicht einmal diese wenigen werden mit den mitgebrachten Anti-Ausländer-Flugblättern behelligt, denn erst mal muss der Tisch verrückt werden und das Auto umgeparkt. Dann wird die Straße vor dem NPD-Stand noch mit einem rot-weißen Hütchen gesichert – wie ein Unfallort.

„Und wenn Sie hier fertig sind, bringen Sie mir das Hütchen doch bitte zurück in die Wache“, sagt der Polizeihauptwachtmeister beim Gehen noch. „Aber selbstverständlich. Machen wir. Gerne“, antwortet Voigt devot. Die NPD ist kleinlaut geworden. Nach 9,2 Prozent in Sachsen, 4,0 Prozent im Saarland und 1,9 in Schleswig-Holstein droht der Partei nun in Nordrhein-Westfalen der Totalabsturz. „Zwei Prozent wären für uns schon ein Erfolg“, sagt Voigt. Doch intern fürchten die Neonazis den Supergau: Bei weniger als einem Prozent Wählerstimmen gibt es keine Wahlkampfkostenerstattung.

Die Partei der Außenseiter

Zur Entwarnung besteht freilich kein Anlass. Wie die meisten Gegenden in Deutschland hat auch das Ruhrgebiet ein Naziproblem. Vor allem im Raum Dortmund-Unna, aber nicht nur dort, gibt es eine aktive Neonaziszene. Hier werden Hassparolen auf Konzerten gegrölt, hier wird gepöbelt und geprügelt und manchmal sogar gemordet. Am Ostermontag erstach ein siebzehnjähriger Skin in Dortmund einen Punk. Im benachbarten Schwerte gab es Mitte April einen weiteren Mord mit wahrscheinlich rechtem Hintergrund.

Gleich neben Dortmund, in Unna, bewirbt sich Arischa Leona Pellny für die NPD um ein Landtagsmandat. Die Kandidatin ist erst neunzehn, aber sie trägt nicht die Vorne-kurz-hinten-lang-Frisur der Skindhead-Mädchen, sondern braune, leicht gewellte Haare und dazu einen dezenten roten Lippenstift. Vor der Landtagswahl muss Pellny noch ihre letzte Abiturprüfung ablegen. Danach will sie Jura studieren. In ihrer Freizeit gibt sie Kindern Schwimmunterricht bei der DLRG Bergkamen. Pellny spielt die Rolle „eine von hier“.

Na und? „Arischa? Noch arischa geht es nicht“, wird im drastischen Humor des Ruhrgebiets auf den Schulhöfen von Bergkamen, Kamen und Unna gewitzelt über die unbedarfte junge Dame mit dem Hang zum politischen Extremismus.

Keinen Spaß verstand allerdings die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft. Die DLRG warf ihre „stellvertretende Jugendwartin“ raus, als sie von der Kandidatur erfuhr. Auch die Lokalzeitung berichtete ausgiebig und kritisch über die Kandidatin und ihre Partei. Heute möchte Pellny nicht mehr mit der Presse reden. Auch auf Wahlkampfveranstaltungen fasst sie sich kurz. Ihre Kandidatur scheint ihr peinlich.

So weit ist Nico Schiemann noch nicht. Er kandidiert für die NPD im Wahlkreis 35: Remscheid im Bergischen Land. „Remmscheid“ sagen die Einheimischen, „Reeeehmscheid“ sagt Schiemann. Er ist nicht von hier. Der Sohn eines NVA-Soldaten aus Frankfurt an der Oder ging zur Arbeit in den Westen: Auf dem Wahlzettel hat er als Beruf „Koch“ angegeben, aber tatsächlich reinigt der 25-Jährige Mülleimer an Bushaltestellen und in Parkanlagen. Gerne würde er auf dem großen Müllauto mitfahren, das die Mülltonnen leert. Dafür gäbe es ein paar hundert Euro mehr. „Aber das dürfen Polen und Russen machen, denn die Stadt bevorzugt Ausländer“, meint Schiemann. Dass sein NPD-Engagement hilft, glaubt er nicht: „Den Job bin ich wahrscheinlich los, wenn die davon erfahren.“ Schiemann gilt bei der NPD als vorzeigbar, weil er keine Glatze, dafür aber Frau und Kind hat. An seine Kindheit im Sozialismus hat er nur beste Erinnerungen: „Wir waren doch noch eine echte deutsche Volksgemeinschaft.“

Eine überforderte Abiturientin, ein Müllfahrer aus der Zone oder ein alter DVU-Stadtverordneter, der als größten Erfolg seines Lebens angibt, sechs Wochen lang vor der Wehrmachtsausstellung Zettel verteilt zu haben: Das ist die „Volksfront“, mit der die NPD die Menschen im Ruhrgebiet gegen „das System“ gewinnen will. Die Strategie der Rechtsextremen, aus der Mitte der Gesellschaft einen Wahlkampf gegen Außenseiter zu führen, ist gescheitert. Wer sich zur NPD bekennt, wird selbst zum Außenseiter. Man könnte das eine erfolgreiche Ausgrenzungsstrategie nennen. Oder sogar von funktionierender Zivilgesellschaft schreiben. Aber das wäre alles zu hochtrabend für kleine und nicht ganz so kleine Leute, die einfach ihr Umfeld in Ordnung halten. Selbst der Gelsenkirchener Bundesligaverein Schalke 04 änderte in diesem Frühjahr seine Satzung, um einen Münsteraner NPD-Kandidaten ausschließen zu können.

Testfall Bochum

Das Ruhrgebiet war nie eine Hochburg der NPD. Aber Ostdeutschland war es früher ja auch nicht. „Die Menschen im Revier sind genauso hoffnungs- und perspektivlos wie in Sachsen“, sagt der NPD-Chef Voigt immer noch. Tatsächlich ähnelt die Sozialstruktur des Ruhrgebiets der Ex-DDR: abgestorbene Großindustrien und eine Arbeiterschaft, die immer weniger gebraucht wird. „Es gab eine rote und eine braune Arbeiterbewegung in Deutschland, die in 150 Jahren erkämpft hat, was jetzt abgebaut werden soll“, sagt Voigt, dessen Partei im Westen jahrzehntelang auf Revanchismus und Antikommunismus setzte.

Wenn schon nicht im ganzen Ruhrgebiet, so sollte seine NPD doch wenigstens in einer Stadt einen Fuß auf die Erde bekommen: in Bochum. Der NPD geht es nicht wirklich um die Stadt mit der Ruhruniversität, den Opelwerken, dem VFL und dem Musical Starlight Express. „Bochum soll unser Beispiel werden, dass wir mit den nötigen Mitteln auch im Westen den Durchbruch erzielen können“, sagt Voigt offen, „das ist wichtig, auch für potenzielle Geldgeber vor der Bundestagswahl 2006.“

Also wurde hier an jeden Laternenmast ein Plakat gehängt. Hier gab es eine lokale Struktur, die ausgebaut werden sollte: Im Ortsteil Wattenscheid liegt die Landeszentrale der NPD, die ein umtriebiger Kader betreibt. Eine Kameradschaftsführerin aus dem Sauerland zog extra nach Bochum, ihre Schläger sollten im Wahlkampf helfen.

Auch die Großwetterlage schien günstig: Hartz IV macht hier viele ärmer, der VFL spielte wieder einmal gegen den Abstieg, und dann drohte der amerikanische Konzern General Motors auch noch mit der Schließung der zwei großen Bochumer Opel-Werke.

„Aber als ich die NPDler vor den Werkstoren sah, war ich mir zum ersten Mal sicher: Das wird nichts mit dem Nazidurchmarsch bei uns“, erinnert sich Martin Budich: „Die haben ihre Flugblätter nur hinter Scheibenwischer geklemmt. Näher ran an die Streikenden haben die sich nicht getraut.“ Budich ist ein 54-Jähriger, der mittlerweile eine ganze Menge weiß über die NPD. Der Mann mit grauem Haar und Vollbart betreibt die Internetseite www.bo-alternativ.de, die über lokale Institutionen und Institutiönchen informiert, die aus den Neuen Sozialen Bewegungen der 80er Jahre hervorgegangen sind.

Strukturen, die nicht nur gut vernetzt sind, sondern auch schnell handeln können. „Wir haben nach Sachsen befürchtet, dass die NPD auch hier versucht, die soziale Karte zu ziehen.“ Dem wurde vorgebeugt: Die Bochumer Montagsdemonstrationen wurden gegen Sozialabbau und Fremdenfeindlichkeit angemeldet und der „lahmarschige“ lokale DGB sensibilisiert. Die NPD-Gegner konnten schon auf Erfahrungen zurückgreifen: Zwei Nazikneipen drängten sie vor wenigen Jahren erfolgreich aus dem Bochumer Amüsierviertel Bermudadreieck.

So wollte es die alternative Szene in Bochum auch in diesem Wahlkampf machen: Den ersten Infostand, den die NPD in der Bochumer Innenstadt versuchte, hüllten Antifaschisten komplett mit weißen Tüchern ein. Und so hoch konnte die NPD ihre Plakate gar nicht hängen, dass sie nicht von der autonomen Antifa mit schwarzer Farbe aus Wasser-Pumpguns vom Spielzeughersteller Toys“R“Us erreicht wurden.

Spät sprang der Funke ins bürgerliche Bochum über. Eigentlich erst, als die NPD den geplanten Neubau einer Synagoge in Bochum als Wahlkampfthema entdeckte. Der Publizist Ralph Giordano hat in der Jüdischen Allgemeinen den „Testfall Bochum“ ausgerufen. Peinlich, wo man sich doch gerade darum beworben hatte, „Kulturhauptstadt Europas“ zu werden. Also machten auch die Oberbürgermeisterin, die Kirchen, die Gewerkschaften und die etablierten Parteien Front gegen die NPD. Und wie: Ab dem 10. April – an diesem Tag vor 60 Jahren wurde Bochum vom Nationalsozialismus befreit – bis zum Wahltag am 22. Mai waren schließlich fünfzig Veranstaltungen gegen die NPD organisiert.

Und die NPD? Ist kaum noch zu sehen. Eine Woche vor der Wahl ist die Landesparteizentrale in Wattenscheid verwaist. Der lokale Agitator: wegen Volksverhetzung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Die zugezogene Kameradschaftsführerin: im Krankenhaus. Infostände: keine mehr. Nur Postwurfsendungen werden noch ausgetragen – von bezahlten Helfern.

Und Voigt, der Revolutionär, der den Polizisten die Hütchen hinterher trägt? Er hofft immer noch. Darauf, dass die Arbeitslosen im Revier noch hassen lernen, wenn sie ihre Lebensversicherungen wegen Hartz IV verkaufen müssen. Darauf, dass die Heuschreckendebatte ein wenig Wasser auf seine Mühlen lenkt. Darauf, dass es regnet und die Wahlbeteiligung schlecht ausfällt. Aber selbst da könnte sich die NPD täuschen. Der NRW-Wetterdienst kündigt für den Wahlsonntag an: „Sonne über dem ganzen Revier.“