piwik no script img

Nicht „archivwürdig“?

■ Schwule fürchten Vernichtung von NS-Akten / Hamburger Staatsarchiv dementiert

Will das Hamburger Staatsarchiv aus Platzgründen historisch bedeutsame NS-Strafprozeßakten über homosexuelle Männer entsorgen? Entgegen anderslautenden Versicherungen des Archivdirektors, befürchten die Schwulen der Hansestadt genau das. In einem offenen Brief wird Bürgermeister Henning Voscherau aufgefordert, die Vernichtung des NS-Aktenbestandes „sofort zu unterbinden“ und die Kriterien der „Archivwürdigkeit“ offen zu legen.

Wandert ein Teil der „einzigartigen und weitgehend vollständigen“ NS-Strafakten über Schwule in den Reißwolf, sei „die historische und sozialwissenschaftliche Erforschung der Geschichte der Homosexuellenverfolgung in ihrer dunkelsten Zeit“ erheblich erschwert, so der offene Brief.

Die Initiatorin des Protestschreibens, die grüne Landesarbeitsgemeinschaft Schwulesbische Politik, hat als Mitunterzeichner maßgebliche Personen und Organisationen gewonnen: Von den Aidspastoren Rainer Jarchow und Nils Christiansen über das Universitätskrankenhaus Eppendorf, die Aidshilfe, Hein & Fiete bis hin zum Schwulenverband Deutschland haben alle den Appell an den Bürgermeister unterschrieben, die in der Homo-Bewegung Rang und Namen haben.

„Die insgesamt dürftige Quellenlage“ sei nämlich ein Grund dafür, daß „die Geschichte der Diskriminierung von Homosexuellen“ und ihr Kampf um Anerkennung bisher unzureichend erforscht sei, so der Protestbrief.

„Wir haben ein mehrfaches Netz gespannt“, weist der Direktor des Staatsarchivs, Professor Hans-Dieter Loose, die Vorwürfe kategorisch zurück. Man würde sich die Mühe machen, „Akte für Akte durchzugehen“ und solche, die Hinweise auf NS-Rechtsbeugung enthalten, zu archivieren. Vernichtet würden nur „meterweise Verkehrsdelikte“, Massenakten ohne historische Bedeutung. Ginge aber zum Beispiel aus einer Verkehrsakte hervor, daß jemand nur wegen seines Schwulseins bestraft wurde, werde eine solche für die Archivierung vorgesehen. Die Akten der Sondergerichte würden hingegen komplett archiviert. Silke Mertins

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen