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Archiv-Artikel

Nicht angekommen

POLITIK 2.0 Die taz enthüllt heute exklusiv: Der Wahlkampf wandert gar nicht ins Netz

Letztens hat mir ein Politiker erzählt, dass sein Online-Wahlkampf sehr gut funktioniert. Er habe nämlich schon 700 Facebook-Freunde. Das fand ich irgendwie ein merkwürdiges Argument. Vor allem, weil geschätzt mehr als die Hälfte seiner „Freunde“ sowieso aus seiner Partei oder deren Jugendorganisation kamen.

Um herauszubekommen, ob der Netzwahlkampf nun tatsächlich so floppt, wie es sich von außen anfühlt, bin ich dorthin gegangen, wo das Herz der Berliner Politik pocht – zum Reichstag. Genauer gesagt: in die hundert Meter lange Schlange davor.

Die Umfrage unter immerhin 15 jungen Wartenden förderte spektakuläre Ergebnisse zu tage: Demnach hat keiner der Befragten jemals eine Facebook-Seite eines Politikers besucht, obwohl fast alle ein eigenes Profil haben. Niemand hat auf Youtube den Politik-Channel „Open Reichstag“ angeklickt. Lediglich der 16-jährige Frederik, Erstwähler bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, hat den groß beworbenen Kanal wenigstens kurz gesehen, um dann aber zu anderen Videos abzudrehen. Noch schlimmer steht es um Twitter: Niemand interessiert sich für die 140-Zeichen-Texte der Politiker, nur eine Befragte hat einen sterbenden Twitter Account. Die meisten kennen jedoch Twitter gar nicht.

Auch StudiVZ wirbt gleich auf der Startseite mit dem Wahlkampfportal – doch ohne Erfolg: „Alte Leute versuchen jung zu sein“, kommentierte Corinna aus Unna, 25, zu dem Auftritt. Das sei doch, als wenn ihr Vater auf einmal ein solches Profil anlegen würde.

Immerhin drei Befragte sagten, dass sie zur politischen Weiterbildung auch Parteiseiten aufrufen würden. Zu peinlichem Schweigen führte allerdings die Nachfrage nach dem letzten Besuch auf einer der Seiten. Der 19-jährige Johannes aus dem Schwarzwald war tatsächlich mal auf der Seite der FDP, allerdings weil er vielleicht selber in die Partei eintreten will. Das zählt eigentlich nicht als Wahlkampf.

Die dramatischen Schlussworte sagte eine junge Frau aus Heidelberg, die zwar den Wahl-O-Mat mal durchgespielt hätte, aber für sich feststellen musste, dass „der Wahlkampf sowieso nicht so präsent“ sei. Da helfe auch eine groß aufgezogene Kampagne der Parteien im Internet nicht mehr.

Insofern ist das Ergebnis dieser Umfrage, dass der Wahlkampf im Netz zwar nicht stattfindet, was aber gar keine besondere Feststellung ist, weil ja in diesem Jahr sowieso offenbar kein Wahlkampf geführt wird. Damit ist es der Politik doch gelungen, den Wahlkampf in diesem Jahr eins zu eins ins Netz zu übertragen. Hier findet keiner statt, dort findet keiner statt. Oder wie es einer in der Schlange sagte: „Wahlkampf verfolge ich im Internet schon mal gar nicht.“

GORDON REPINSKI