Neuwahlgerüchte in Kiel: Schluss mit dem Dauergezänk
Die Grünen beantragen die Auflösung des schleswig-holsteinischen Landtags. Wenn die Mehrheit nächsten Mittwoch zustimmt, wird am 12. Juli neu gewählt.
Die Grünen in Schleswig-Holstein wollen baldige Neuwahlen erzwingen. Einen Antrag für die Landtagssitzung am Mittwoch nächster Woche stellte ihr Fraktionsvorsitzender Karl-Martin Hentschel am Montag in Kiel vor. Sollte er die erforderliche Zweidrittelmehrheit bekommen, muss innerhalb von 70 Tagen das Landesparlament neu gewählt werden. Die Grünen favorisieren den 12. Juli - einen Monat nach der Europawahl und eine Woche vor den schleswig-holsteinischen Sommerferien.
"Wir brauchen einen Neuanfang", begründete Hentschel den Vorstoß seiner Fraktion. Es sei offensichtlich, dass die große Koalition keine Gemeinsamkeiten mehr habe. Das Land könne sich aber "eine Regierung im Dauergezänk nicht leisten". Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) signalisierte bereits Zustimmung. Für die Partei der dänischen und friesischen Minderheit wäre eine Neuwahl zusammen mit der Bundestagswahl am 27. September ein Graus. Der SSW fürchtet, dann mit seinen Anliegen unterzugehen.
Auch ein führender Christdemokrat soll Zustimmung zum Antrag der Grünen signalisiert haben. Über den Termin müsse man allerdings noch nachdenken. Die FDP, die grundsätzlich für Neuwahlen ist, will sich am heutigen Dienstag offiziell zum Antrag äußern. Nach Informationen der taz wollten CDU und FDP gestern Abend in einem vertraulichen Gespräch schon mal die Möglichkeit einer schwarz-gelben Koalition sondieren. Am heutigen Dienstag treffen sich die Spitzen von CDU und SPD zu einer Sitzung des Koalitionsausschusses - möglicherweise ist es bereits die letzte.
Die bislang letzte Wahlumfrage für Schleswig-Holstein wurde am 25. Februar veröffentlicht - vier Jahre nach der Landtagswahl von 2005. Diese Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Dimap sagte eine deutliche schwarz-gelbe Mehrheit voraus.
Danach erreichte die CDU mit 38 Prozent 2,2 Prozentpunkte weniger als vier Jahre zuvor. Dafür konnte die FDP mit 14 Prozent ihr Ergebnis gegenüber der Wahl von 2005 mehr als verdoppeln. Zusammen kämen Christdemokraten und Liberale somit auf satte 52 Prozent.
Die SPD verlor 9,7 Prozentpunkte und sank mit 29 Prozent erstmals seit 1950 unter die 30-Prozent-Marke. Die Grünen verbesserten sich mit plus 2,8 Prozentpunkten auf 9 Prozent. Der Linkspartei wurden mit 3 Prozent keine Chancen auf den erstmaligen Einzug in den Landtag vorhergesagt, während der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), für den die Fünf-Prozent-Hürde nicht gilt, mit 3 Prozent stabil bliebe. SMV
Denn mit ihrem Vorstoß zwingen die Grünen die beiden Koalitionsparteien, Farbe zu bekennen. "Der Ball liegt im Spielfeld der SPD", bekräftigte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gestern. Er und die CDU stünden für vorgezogene Neuwahlen im September bereit, "wenn die SPD das will". SPD-Chef Ralf Stegner aber will nicht mitspielen. "Ich hoffe, dass Herr Carstensen und seine Partei ihre Krise bald überwinden", spottet er. Auch andere Spitzengenossen finden deutliche Worte: "Lächerlich" sei der Vorschlag, sagte Holger Astrup, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, der taz: "Man merkt die Absicht und ist verstimmt."
Andreas Breitner, Bürgermeister von Rendsburg und stellvertretender SPD-Landesvorsitzender, schätzt die Lage ähnlich ein: "Es ist ein Ablenkungsmanöver. Doch wir sind in einer wirtschaftlichen schwierigen Lage, die keine Mätzchen rechtfertigt." Wenn Carstensen selbst zum Schluss komme, "ich habe fertig, dann soll er zurücktreten", schlug Breitner vor. "Aber das will er offenbar nicht."
Zu Carstensens Äußerung, in der SPD gebe es Stimmen für Neuwahlen, sagte Breitner: "Ich werde ihn fragen, mit welchen Parteimitgliedern er gesprochen hat - ich kenne kein maßgebliches Mitglied, das dafür ist." Wenn Carstensen im Koalitionsausschuss am Mittag nicht seinen Rücktritt erkläre, so Breitner, "gehe ich davon aus, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode weitermachen".
Auf die Frage, ob die Koalition denn bis Mai 2010 arbeitsfähig sei, sagte Astrup: "Wir regieren besser zusammen, als es sich in der Presse liest." Und Breitner erklärte: "Es geht nicht darum, dass man sich lieb hat - man ist gewählt und wird dafür bezahlt, seine Arbeit zu machen."
Die Städte und Gemeinden im Land wickeln gerade das Konjunkturpaket II ab, erinnerte Breitner: "Wir können es uns nicht leisten, dass das Land in dieser Phase monatelang ausfällt." Auch der Debatte um die Zukunft der HSH Nordbank und dem anstehenden Untersuchungsausschuss "darf sich die Regierung nicht durch Neuwahlen entziehen".
Er verstehe seinen Antrag auch als Angebot an die Sozialdemokraten, sagte Hentschel. "Es liegt nun an der SPD, den Weg für einen Neuanfang in Schleswig-Holstein frei zu machen." Deren Fraktionschef Ralf Stegner bekräftigte am Montag allerdings seine Ablehnung. Er bleibe dabei, die Koalition bis Mai 2010 fortzusetzen.
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