Neuregelung bei verzögerten Prozessen: Haft-Rabatt lohnt sich weniger
Der Bundesgerichtshof regelt den Strafnachlass bei verzögerten Prozessen neu. Bisher kam es oft zu "Strafrabatten": Bewährung statt Gefänginis.
FREIBURG taz Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden, wie Strafen nach überlangen Verfahren reduziert werden. Künftig wird nicht mehr die ausgesprochene Strafe abgemildert, sondern nur die Vollstreckung verkürzt. So wird es schwerer, eine Strafe zur Bewährung auszusetzen. Es ist auch eher möglich, ausländische Täter auszuweisen. Auch wird es den Richtern leichter fallen, eine Sicherheitsverwahrung anzuordnen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention sieht vor, dass ein Strafverfahren angemessen schnell durchgeführt werden muss. Verzögert es sich unnötigerweise, muss der Angeklagte einen Ausgleich in Form eines Strafrabatts erhalten, sonst könnte er beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Schadensersatz einklagen. Schließlich ist der Staat dafür verantwortlich, wenn ein Verfahren zu lange dauert, weil er zum Beispiel ein Gericht mit zu wenig Personal ausgestattet hat, aber auch wenn ein Prozess aufgrund staatlicher Verfahrensfehler neu aufgerollt werden muss.
Bisher wurde in solchen Fällen einfach eine niedrigere Strafe verhängt. Wären etwa drei Jahre Haft angemessen gewesen, erhält der Angeklagte nur zwei Jahre Freiheitsstrafe. Das konnte die Folge haben, dass die Freiheitsstrafe nun zur Bewährung ausgesetzt werden konnte, was nur bei Haftstrafen von maximal zwei Jahren möglich ist. Vor allem bei Wirtschaftsstrafverfahren, die oft so komplex sind, dass sie die Gerichte überfordern, kommt es immer wieder zu Strafrabatten, die plötzlich eine Bewährung ermöglichen.
Solche Nebenfolgen einer langen Verfahrensdauer sollen künftig ausgeschlossen sein. Wie nun der Große Strafsenat entschied, dem Richter aller fünf BGH-Strafsenate angehören, soll ein Strafrabatt nicht mehr die Schuld mindern, sondern nur die Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe. Im obigen Beispiel würde der Täter also zu drei Jahren Haft verurteilt, wobei aber ein Jahr nicht vollstreckt wird. Die Folge: Weil bei einer Haftstrafe von drei Jahren keine Bewährung möglich ist, muss der Täter tatsächlich zwei Jahre hinter Gitter.
Ähnlich ungünstige Auswirkungen kann die neue Regelung auch bei anderen Fragen haben. So ist ein ausländischer Täter zwingend auszuweisen, wenn er zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt wurde. Und für die Verhängung einer Sicherungsverwahrung nach dem Verbüßen der Strafe ist ein Strafmaß von mindestens zwei Jahren erforderlich. (Az.: GSSt 1/07)
CHRISTIAN RATH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt