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Neues aus der OdenwaldschuleMissbrauch auch in den Nuller-Jahren

Sexuelle Übergriffe gab es an der Odenwaldschule angeblich "noch bis zur Mitte dieses Jahrzehnts". Die SPD-Bildungsexpertin Burchardt betont aber: Die Reformpädagogik ist nicht schuld.

Im Falle der Odenwaldschule hilft auch kein Kochwaschgang, damit schmutzige Wäsche wieder weiss wird. Bild: dpa

BERLIN taz/afp Die von Missbrauchsskandalen erschütterte Odenwaldschule kommt nicht zur Ruhe: An dem reformpädagogischen Institut in Hessen gab es noch in diesem Jahrzehnt Übergriffe auf Schüler, wie das Magazin Spiegel berichtet.

Ein Übergriff an der Odenwaldschule habe sich "noch bis zur Mitte dieses Jahrzehnts" hingezogen, sagte der Frankfurter Opferanwalt Thorsten Kahl dem Spiegel. Der betroffene Exschüler wolle jedoch derzeit nicht die Staatsanwaltschaft einschalten, weil er unter dem Druck ehemaliger Mitschüler stehe, den Ruf der Schule nicht noch weiter zu beschädigen. In der vergangenen Woche hatten Berichte für Aufsehen gesorgt, denen zufolge an der reformpädagogisch orientierten Odenwaldschule bis in die 90er-Jahre Schüler von Lehrern sexuell missbraucht worden seien.

Nach dem Bericht des Spiegels beschuldigen mehrere Exschüler einen noch heute an der Schule tätigen Lehrer, einen schwer belasteten Exkollegen zu schützen. Der Lehrer habe vertrauliche Informationen aus der E-Mail eines Missbrauchsopfers an seinen inzwischen pensionierten Kollegen Jürgen K. weitergegeben. K. werden sexuelle Übergriffe und anderes Fehlverhalten angelastet. Der Lehrer bestreitet, dass die Information vertraulich gewesen sei. Er hatte sie laut der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung aus dem elektronischen "Trash"-Ordner des Schulaccounts weitergeleitet.

Unterdessen wurden auch neue Einzelheiten zu den Missbrauchsfällen im Kloster Ettal bekannt. Die Schilderungen über den jahrzehntelang anhaltenden massenhaften Missbrauch von Schülern in Ettal hätten ihm den Schlaf geraubt, sagte Sonderermittler Thomas Pfister, der die Vorwürfe untersucht, dem Magazin Focus. Die mutmaßlichen Opfer berichteten von Prügeleien mit Skistöcken, von durch Schläge geplatzten Trommelfellen und von lebendigen Molchen, die sie essen mussten.

Der jahrelange sexuelle Missbrauch an der Odenwaldschule wirft nach Ansicht von Politikerinnen der SPD und der Grünen aber keinen Schatten auf die Reformpädagogik. "Ein Zusammenhang zu reformpädagogischen Ideen ist durch nichts belegt", sagte die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Ulla Burchardt, der taz. Alle, die ihn dennoch zögen, seien in ihren Augen "politische Raubritter", die nun versuchten, emanzipatorische Erziehungsideen zu diskreditieren.

Zuletzt sprach der hessische FDP-Justizminister Jörg-Uwe Hahn gegenüber dem Tagesspiegel von einem Klima, das den Boden für Missbrauchsfälle bereitet habe. Dass er Politiker von SPD und Grünen als Verursacher dieses Klimas bezeichnet habe, ließ er dementieren. Sein Sprecher sagte auf Nachfrage, man müsse aber die Frage stellen, ob der reformpädagogische Ansatz, der den pädagogischen Eros und die freie Liebe propagiere, möglicherweise anfällig sei für sexuelle Übergriffe. BD, ALE

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8 Kommentare

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  • B
    brot

    >"irgendwann müssen auch sie mal einsehen, das aus der Ablehnung von Werten nichts Gutes entstehen kann."

     

    --sprach der Korporatisten-Fanboy

     

    facepalm.jpg

  • V
    Verwundert

    Die Zeiten, als man jede berechtigte und durchdachte Kritik, die es zum Zusammenhang von pädosexueller Pädagogik und pädosexuellen Denkens gibt, mit dem Totschlagargument "Dikreditierung emanzipatorischer Erziehungsideen" zu unterdrücken versuchte, wähnte ich schon als ein für alle mal vorbei und habe geglaubt, man müsse schon genau in der Sache und inhaltlich argumentieren.

    Frau Burchardt outet sich als Ewiggestrige.

  • FB
    Frank Bln

    Oh unheilige Gegenwart. Bisher konnten wir uns empört über die sexuellen Missbräuche und Misshandlungen geben und zeigen - lagen diese Vorfälle doch in der Vergangenheit und wohlig war es uns in der Gegenwart.

     

    Es war aber nur eine Frage der Zeit, eines "besseren" belehrt zu werden: Das, was wir in die Historie verbannt sehen wollten, ist längst noch nicht vergangen.

     

    Und da dem so ist, wird Druck aufgebaut, damit um des guten Rufes willen geschwiegen wird: Geschützt werden soll also die Institution, in der Menschen misshandelt und sexuell missbraucht werden; geschützt werden soll die Lebenslüge, gleichgültig, ob Leben zerstört wird und wurde; geschützt werden somit letztlich die Täter. Opfer, die reden, die sich gegen das Schweigen stemmen (ohnehin schon ein Kraftakt, der ihnen mit obiger "Haltung" noch erschwert wird) sind dann die wahren Schweine! Mir kommt das Kotzen!

     

    Unterstützung erfahren die um guten Ruf und um die Täter besorgten dazu von Fr. Ulla Burchardt, indem sie mal flott ein paar Tabus aufstellt, versetzt mit der passender Deskreditierung politischen Raubrittertums gegen die, die Reformpädagik diskutiert wissen wollen. Auch wenn ein Zusammenhang zwischen den sexuellen Übergriffen und reformpädagischen Ideen nicht belegt ist, ist dieser auch nicht widerlegt. Aber Fr. Burchardt scheint Befürchtungen zu haben vor ergebnisoffenen Diskussionen oder Forschungen; das lässt sie anscheinend hemmungslos die Wahrheit sicherheitshalber vorab diskreditieren. Was will diese Bildungspolitikerin eigentlich schützen?

     

    Die Ideen haben sicher niemanden missbraucht, aber sie wurden und werden anscheinend missbraucht. Wenn sie die reformpädgogischen Ideen schützen will, sollte sie sich doch wohl eher Gedanken darüber machen, wie es möglich ist,dass diese als Deckmantel für Gewalt gegen Schutzbefohlene missbraucht werden.

     

    Und sollte nicht jede Diskussion im Blick haben, dass sie im Ergebnis Schüler (Kinder und Jugendliche) vor Gewalt, sexuellen Missbrauch, Misshandlungen et al. fürderhin schützt? Stattdessen werden auf Kosten der Schutzbefohlenen Ideologien und Lebenslügen geschützt und - schlimmer noch - bewahrt!

     

    Ich wünsche allen Opfern Kraft und Mut, damit sie gegen diese Front der Ignoranz ankommen und es ihnen gelingt das Schweigen zu brechen und aus der Dunkelheit zu treten.

  • A
    Aldinger

    Ganz so falsch ist die Ansicht meiner Meinung nicht, das die Reformpädagogik Mitschuld daran hat, die Ablehnung von Regeln ist für die 68er nunmal typisch, und ich denke auch,das die antiautoritäre Erziehung mitschuld hat an der zunehmenden Jugendgewalt bis hin den Amoktaten an den Schulen.

    Wie war doch der Spruch damals,"... macht kaputt, was euch kaputt macht."

    Die Linken wollen sich aus der Verantwortung stehlen, aber irgendwann müssen auch sie mal einsehen, das aus der Ablehnung von Werten nichts Gutes entstehen kann.

  • H
    Hasencamp

    Natürlich ist die Reformpädagogik nicht schuld. Und doch steht sie im Zusammenhang mit dem Missbrauch. Genauso wenig ist die katholische Sexualmoral schuld. Und doch steht auch sie im Zusammenhang mit dem Missbrauch dort. Es wäre so schön, wenn man Missbrauch nur bei den Katholiken, nur bei den Zölibatären oder sonstwo finden könnte. Er findet aber fast überall statt und muss jedes Mal im Zusammenhang analysiert werden.

  • K
    kathrin

    wird zeit, dass wir in der gegenwart ankommen. es glaubt wohl hoffentlich kein mensch, dass so was heute nicht mehr passiert.

    aber da traut sich niemand ran.

    und so lange über institutionen und nicht über strukturen und macht geredet wird, wird sich auch in zukunft nichts ändern.

  • M
    Max

    Vielleicht denkt Fr. Ulla Burchardt aber auch in die falsche Richtung wenn sie sich von Menschen wie z.Bsp. Hr. Jörg-Uwe Hahn erzählen lässt das die Reformpädagogik versagt weil sie zu sehr liebt und eros-blalba.

    Die Vertreter der Pädagogik in den konservativen Reihen sind ja wohl eher für mehr härte und weniger schmusekuschelkurs - mehr machtdemonstration und -ausnutzung.

    Die Reformpädagogik, bzw. teile dieser, sind "weicher" weniger niederschmetternd - wobei die Macht unterschwellig hin und wieder demonstriert und auf jeden Fall genutzt wird wenn nicht sogar ausgenutzt.

     

    Des Gedanken Mutter weswegen ich hier schreibe ist das es wohl mehr Richtung Offenlegung der Macht geht, darum Widerspruch zu gestatten und sich gleichberechtigt mit dem Menschen zu begegnen, ohne eine Hierarchie, die in jeder form der Erziehung von Nöten zu sein scheint.

     

    Liebe taz, betrachtet die Sache doch mal aus dem Blickwinkel wie die antipäd. Bewegung, oder antiautorithärer Erziehung (ala Neill) zu beschreiben. Oder katharina Rutschky und A.Miller...(schwarze Pädagogik)...

    Themenspecial...und ich kaufe wieder eine Woche die taz^^

     

    schönen abend

    max

  • T
    Torben

    Junge Junge schlimmer als bei den Katholen die Schule gehört sich geschlossen und der "Verein" verboten.