: Neues aus Widerspruch
Der schwierige Weg zum Wahlbündnis der Bürgerbewegungen ■ Von Peter Bauer
Die Entscheidung scheint endgültig: Am vergangenen Donnerstag erklärten nun die Verhandlungsführer des Neuen Forums den Ausstieg aus dem fast perfekten Wahlbündnis zwischen den West- und Ostgrünen sowie den DDR-Bürgerbewegungen, die bei den Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Bundestag im Dezember gemeinsam antreten wollten.
Das monatelange Ringen um die Beteiligung der größten DDR-Oppositionsbewegung hat somit sein Ende gefunden — vorerst. Denn am morgigen Sonntag soll es ein Sonderforum der noch knapp 20.000 Mitglieder starken Organisation geben, das sich erneut mit dieser Frage zu beschäftigen haben wird.
Bereits in den zurückliegenden und teilweise sehr langatmigen Verhandlungsrunden wurde deutlich, daß die von Verhandlungsführer Reinhardt Schult vielbeschworenen Forderungen der Basis gar nicht dieselben sind. Bleibt also abzuwarten, ob die Landesdelegierten diesen Entschluß wirklich mittragen.
Doch nicht die Streitigkeiten um das Neue Forum oder in den Reihen desselben sind aus ostdeutscher Sicht der eigentliche Knackpunkt. Selbst die mögliche Subsumierung des eigenen Namens unter einem gesamtdeutsch-grünen Dach ins Feld zu führen, wäre noch zu kurz gegriffen — bei allen Bedenken, die man/frau in dieser Richtung haben könnte. Vielmehr geht es hier an die Wurzeln der Bürgerbewegungen, an den Teil, aus dem sie alle ihre Kraft geschöpft haben: die Polarität.
Aktionen in den Kommunen bis hin zur Besetzung der Stasi-Zentrale sind genauso Bestandteil bürgerbewegter Politik, wie parlamentarische Gesetzesinitiativen. Beide Seiten können einander sinnvoll ergänzen und es wäre falsch, sie gegeneinander stellen zu wollen.
Das scheinen auch verschiedene Teile im Neuen Forum selbst so zu sehen, die über Basisinitiativen versuchen, ihrer Position Gehör zu verschaffen.
Doch es wäre kurzsichtig, für den Ausstieg nur den Republiksprecherrat mit seinen zum Teil stark zugespitzten Forderungen oder gar die Verhandlungsführer allein verantwortlich zu machen. Vielmehr hat ein ungeheurer Zeitdruck, der durch die Wahlterminfestsetzung entstanden ist, dazu geführt, daß organisatorische Differenzen inhaltliche Nähe überschatten. Und vom eigentlichen Grundübel, dem undemokratischen Wahlvertrag mit seiner Entscheidung zu nichtkonkurrierenden Listenverbindungen, einem einheitlichen Wahlgebiet mit einer Fünfprozentklausel, ist völlig abgelenkt worden. Aus dem Auge geraten sind auch die schon fast unsittlichen Anträge von Parteien an Bürgerbewegungen, einzelne Kandidaten mit hoher Popularität auf ihren Listen ins neue deutsche Parlament zu bringen. Während CDU und SPD ihren Respekt vor jenen beteuerten, die den friedlichen Umbruch im vergangenen Herbst maßgeblich mitgetragen haben, verabschiedeten sie zugleich jenes Wahlgesetz, das den Bürgerbewegungen aus der DDR den Sprung in den gesamtdeutschen Bundestag im Prinzip unmöglich macht. Und mit dem Druck der Ereignisse sollen die Kräfte, die bis zum Herbst vergangenen Jahres nicht einmal die Chance zur landesweiten Organisation besaßen, zur Aufgabe ihres alternativen Demokratieverständnisses gebracht werden. Was könnten doch beispielsweise Runde Tische für „Störfaktoren“ im parlamentarischen Getriebe einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein.
Vor diesem Hintergrund wird das Problem in den Bündnisgesprächen mit den Bundesgrünen schlagartig klar. Auch wenn der Verhandlungsmarathon zwischen den recht unterschiedlichen Bündnispartnern — sie reichen von den Grünen über Demokratie Jetzt, Initiative Frieden und Menschenrechte, Neues Forum bis hin zum Unabhängigen Frauenverband und Mitgliedern der Vereinigten Linken — manchmal wie ein schlechter Namensstreit aussieht, steckt mehr dahinter, als nur reine DDR-Befindlichkeiten. Zudem handelt es sich um ein Aufeinanderzugehen sehr differenzierter Strömungen innerhalb einer durch Wahltermine und -modus so eng gesteckten Zeit. Es ist eben kein — wie bei anderen Parteien durchaus überlich — „Zusammenschluß nach Artikel 23“.
Wenn das Neue Forum im großdeutschen Bundestag nicht nur schlechthin vertreten sein, sondern die Interessen seiner Mitglieder auch parlamentarisch durchsetzen will, wird das Forum nicht an einer wie auch immer gearteten Listenverbindung vorbei Können. Die Chancen für den Einstieg in das Wahlbündnis „Die Grünen/Bündnis 90 — BürgerInnenbewegungen“ stehen nicht schlecht. Geht es doch darum, zweigleisig — das heißt parlamentarisch und außerparlamentarisch — die Interessen der Bürger zu vertreten. In den Kommunen, dem Ursprung und der Kraft der Bürgerbewegungen, ist in den vergangenen Monaten deutlich geworden, daß allein durch Parteien getragene bürgerbewegte Politik nicht möglich ist.
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