Neues Konzept für Weddinger Markthalle: Drei Damen vom Bio-Grill
Die proletarische Arminius-Markthalle in Moabit wird zum Zentrum für nachhaltigen Konsum umgebaut: Neben Grillwurst gibts nun auch Retro-Möbel und Biowein. Der Kiez hat neue Ideen bitter nötig.
Fröhliches Marktgedränge, Holztische voller Delikatessen und eine Herrencombo in Frack und Zylinder, die den Charleston fiedelt: Wer am Samstagvormittag die frisch sanierte Arminius-Markthalle in Moabit betrat, wähnte sich in einem Zwanziger-Jahre-Film. Unter dem kathedralenartigen Glas- und Eisendach bieten ein Weinhändler, eine Seifenmanufaktur, ein Porzellanhändler und eine Einrichtungsmeisterei ihre Produkte feil. Nur die schwarzgewandeten Security-Leute und die Videokunst an der Hallenwand wollen nicht so recht ins Bild passen. Ein "kommunikativer Ort mit alten Traditionen und jungen Ideen" soll die 120 Jahre alte Markthalle werden, sagt der neue Betreiber und Vorsitzende der Zunft AG, Christoph Hinderfeld, ins Mikrofon.
Während er von seinem Konzept eines "Zunftwerk-Manufakturenkaufhauses" spricht, erkunden die Moabiterinnen und Moabiter ihre Markthalle, die vorher ärmlich und heruntergekommen wirkte und zuletzt bei laufendem Betrieb für rund 3,5 Millionen Euro saniert wurde. "Schick und voll, fast wie vor vierzig Jahren", schwärmt eine alte Dame, die als geborene Moabiterin den Niedergang der Markthalle vom "Kiez-KaDeWe" zur muffigen Ramsch-Ecke mit Norma und Schlecker miterlebt hat. Schick ist sie geworden, die Halle. Allerdings ist die Hälfte, die das Manufakturenkaufhaus beherbergen soll, noch lange nicht fertig. Ein großer Teil der Standflächen ist leer, die Schauküche, hinter der künftig der Turban tragende Koch Chakall kulinarische Events zelebrieren soll, besteht bisher nur aus Fassade. "Nachhaltigkeit braucht Zeit", formuliert es Hinderfeld, der die Halle für 50 Jahre von der Berliner Großmarkt GmbH gepachtet hat.
15 überdachte Markthallen ließ der Magistrat zwischen 1883 und 1892 errichten, um den unhygienischen Zuständen auf Berlins Wochenmärkten ein Ende zu bereiten. In den von gusseisernen Säulen getragenen Backsteinbauten boten Bauern frische Lebensmittel und Blumen feil.
Im 20. Jahrhundert gingen viele Hallen ein. Die letzten überlebenden werden jetzt vitalisiert: Die Kreuzberger Marheinekehalle wurde 2007 grundsaniert, für die Eisenbahnhalle in Kreuzberg 36 soll es ab 2012 ein neues Konzept geben. Die Arminiushalle ist seit Samstag eine "Zunfthalle". Nur für die Ackerhalle in Mitte ist es zu spät: Sie ist ein Supermarkt.
Heinz Freier, der vor seiner Rente als Vorarbeiter der Berliner Großmarkt GmbH für die Arminius-Markthalle zuständig war, ärgert das. "Eine Blamage, in dem Zustand zu eröffnen", schimpft er und deutet auf die leeren Flächen jenseits der Mittelachse. Vom neuen Konzept hält er auch nichts. "Wer soll denn in Moabit die Kaufkraft für das ganze teure Zeug haben?" Früher, als die Gegend sozial gemischter war, sei das anders gewesen. "Da war die Turmstraße ein Boulevard und an der Markthalle gab es sogar ein Hotel." Jetzt gebe es nur noch das private Herold-Kurbad. Und diese alte, neue Markthalle, die Heinz Freier nicht mag, weil die neuen Standsockel viel zu hoch seien für "all die alten Mütterchen".
Jan Philipp von Rüden steht ganz vorne, wo das Casanova Society Orchestra inzwischen "Berliner Luft" schmettert. Wegen der hohen Sockel stehe der Behindertenbeirat in den Startlöchern, sagt von Rüden, das werde man lösen. Ansonsten ist der lokale SPD-Abgeordnete sehr zufrieden mit der neuen Markthalle. "Es gibt in Moabit sehr viel mehr Kaufkraft, als man zunächst denkt." Der arme, proletarische Ortsteil habe sich in den letzten Jahren gewandelt, junge gutverdiendende Familien und Studenten zögen her. "Es werden noch mehr Veränderungen kommen", meint von Rüden und blickt nachdenklich auf die Dosen mit Wildrind-Bratensauce und hausgemachten schwäbischen Maultaschen. Dann setzt er ein zuversichtliches Lächeln auf und fügt hinzu: "Das muss ja nichts Schlechtes heißen. Ich hoffe, dass hier die Symbiose zwischen Urgestein und Neuem gelingt."
Am Eröffnungstag wirkt die Halle nicht symbiotisch, sondern säuberlich zweigeteilt: hier der neue Teil mit edlen Weinen und Retromöbeln. Dort das alte Angebot aus Geflügel-Oase, Blumenladen und dem Klinger-Hallenimbiss, in dem in den 80ern die Fernsehserie "Drei Damen vom Grill" gedreht wurde. Dazwischen, an einem der langen Tische, sitzen Arno Hilscher und seine Frau Julia Hilscher-Szegedin und staunen. "Schon eine kuriose Mischung zwischen Schultheiss und Latte macchiato", sagt Arno. Das junge Paar ist vor anderthalb Jahren aus Kreuzberg hergezogen, des unverfälschten Charmes und der billigen Mieten wegen. In die Markthalle kamen sie wegen der "legendären" Wurstverkäuferin. Jetzt freuen sie sich über das erweiterte Angebot, sind aber skeptisch, ob das Ganze nicht doch ein wenig überambitioniert ist. "Ich weiß nicht, ob mein Bedarf an Dinkel-Whiskey für 26 Euro groß genug ist, um die Sache hier am Laufen zu halten", scherzt Julia. Immerhin habe der neue Betreiber die alten Strukturen respektiert und bodenständige Gastronomie wie das "Brutzel-Eck" erhalten.
Dort werden am laufenden Band Kartoffelpuffer und Filterkaffee gereicht. Vom Eingang wehen Ziehharmonikaklänge herüber: Der Bärtige, der seit Jahren mit der Quetsche vor der Markthalle sitzt, spielt "La Paloma". Auch ein Lied aus einer anderen Zeit. Und doch ein ganz anderes Lebensgefühl als das der Retro-Combo im neuen Teil.
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