Neues Informationsgesetz in Polen: Protest gegen Geheimniskrämerei
Polens Behörden sollen Bürgern gegenüber künftig nicht mehr zu Auskünften verpflichtet sein. Rund 40 NGOs fordern ein Veto des Staatspräsidenten.
WARSCHAU taz | Polens Expräsident Lech Walesa fühlt sich an die Zeiten des Kommunismus erinnert. In einem offenen Brief fordert er den amtierenden Präsidenten Bronislaw Komorowski auf, sein Veto gegen das neue Informationsgesetz einzulegen.
"Die Argumente zur Verteidigung des Gesetzes erinnern an das Orwellsche "Ministerium der Liebe", mit dem das Ministerium der Geheimpolizei gemeint ist", schreiben er und fünf namhafte Freiheitskämpfer der 1980er Jahre an den Präsidenten. Mit dem Gesetz werde dem Bürger der Zugang zu öffentlichen Informationen gerade nicht erleichtert, sondern verbaut. Auch rund 40 NGOs fordern ein Veto gegen das Gesetz.
Mit diesem Proteststurm hatte die liberale Bürgerplattform (PO) nicht gerechnet. Der umstrittene Absatz des Gesetzes war bei der ersten Lesung im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, gestrichen worden. Im Senat, der zweiten Kammer, schrieb dann ein PO-Senator genau diesen Passus als "Verbesserung" wieder in das Gesetz hinein.
Bei der Wiedervorlage im Sejm winkten die Abgeordneten das Gesetz durch. Es war die letzte Sitzung vor dem Neuwahlen am 9. Oktober, und die Abgeordneten hatten bereits andere Dinge im Kopf. Verabschiedet hatten sie damit ein Gesetz, das die Auskunftspflicht staatlicher Behörden von deren Ermessen abhängig macht.
Sollte Präsident Komorowski das Gesetz unterschreiben, könnten sich künftig Politiker Polens auf Gutachten als Entscheidungsgrundlage berufen, ohne diese der Öffentlichkeit zugänglich machen zu müssen. Angeblich sollen durch diesen Passus im Informationsgesetz strategische Wirtschaftsinteressen des Staates geschützt werden.
Betroffen von dem "Geheim-Passus" wären demnächst alle europäischen und internationalen Projekte, auch politische Entscheidungen in EU-Fragen, soweit sie im weitesten Sinne die Wirtschaft Polens beträfen, die Privatisierung staatlicher Unternehmen sowie sämtliche Investitionen.
Grüne vermuten AKW-Bezug
Umweltschützer in Polen sind überzeugt, dass das Gesetz mit dem geplanten Einstieg Polens in die Atomenergie zu tun hat. "Es dient dazu, vor der Bevölkerung die wahren Kosten für den Bau von Atomkraftwerken und den Preis des von ihnen produzierten Atomstroms zu verbergen", meint Dariusz Szwed von den Grünen 2004.
Ein Veto des Präsidenten würde das ganze Gesetz blockieren. Doch das ist unwahrscheinlich, da dieses Gesetz eine entsprechende EU-Norm erfüllt und schon seit Jahren überfällig ist.
Möglich ist also, dass Präsident Komorowski das Gesetz unterzeichnet und es danach an das Verfassungsgericht überweist. Dann wäre es erst einmal gültig. Bis zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts können Jahre vergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe