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Neues Flaming-Lips-AlbumDie Grenzen des Weltalls

Die US-Progpopband Flaming Lips ist bei ihrem neuen Album "Embryonic" - wie Band-Mastermind Wayne Coyne sagt - auf allen Ebenen vom Weg abgekommen.

Immer schick: die Flaming Lips. Bild: warner bos.

Ende der Neunziger waren die Flaming Lips in aller Munde. Niemand konnte so wie sie Rocksongs durch einen Elektronikwolf drehen, kleinhäckseln und die brillierendsten Momente in wunderlichen Soundexplosionen als Pop verpuffen lassen.

Damals war gerade "The Soft Bulletin" erschienen, das bis dato erfolgreichste Flaming-Lips-Werk, ein pompöses, wild seine Ideen verschwendendes Konzeptalbum voller ergreifender Musik.

Irgendwie geriet die Band um die Jahrtausendwende aber in ein seltsames Fahrwasser. Bei einem Labelabend ihrer damaligen Plattenfirma City Slang wurden die Flaming Lips in Frankfurt etwa zwischen die Rootsmusic-Bands Lambchop und Calexico platziert. Die Zuschauer waren freilich gekommen, um den folkloristischen Americana-Entwurf von Calexico zu hören. Flaming-Lips-Mastermind Wayne Coyne und seine Mitstreiter landeten als Freaks vom fernen Planeten Pop auf der Bühne.

Der singende Gitarrist riss die Arme in die Höhe, manchmal drosch Coyne auch auf einen überdimensionalen Gong ein, der mitten auf der Bühne drapiert war. Im Hintergrund liefen Experimentalfilme, und das fantastisch Bombastische der Musik wurde mittels Laptop noch fetter in die Verstärkerboxen geblasen. Das Publikum reagierte auf die hymnenhaften Songs schnell nervös und wurde schließlich sehr zornig. Man merkte förmlich, wie sich eine ungute massenpsychologische Dynamik gegen die Flaming Lips richtete.

Künstlichkeit und avantgardistischen Grenzgängen waren die Flaming Lips nie abgeneigt. 1997 veröffentlichten sie unter dem Titel "Zaireeka" vier CDs, die in vier CD-Spielern zugleich abgespielt werden mussten, um ein schlüssiges Ganzes zu ergeben. Die Ideen für ihre Aktionen beziehen sie aus dem Kunstmilieu, das bei den Flaming Lips mit der Kitschbilderwelt von Disneyland kurzgeschlossen wird. Mal wirbeln als Nikoläuse verkleidete Tänzerinnen über die Bühne, mal lässt sich Coyne, eingeschlossen in einen aufblasbaren Gummiball, auf vielen Händen durchs Publikum jonglieren.

Nun veröffentlichen die Flaming Lips ihr zwölftes Studioalbum, das die Zugänglichkeit der letzten Alben - "The Soft Bulletin", "Yoshimi Battles the Pink Robots" und "At War With The Mystics" - wieder zurücknimmt. "Embryonic" hat etwas von einem Ramschladen verworfener oder nicht zu Ende gedachter Ideen. Der Titel wurde bewusst gewählt: Tatsächlich reift hier langsam etwas heran, allerdings, das sei vorweggenommen, ist es eine ziemlich schwere Geburt.

Das Album ist in seinen glückenden Momenten inspirierend und dennoch scheitert es im Großen. Viele Soundschnipsel und Rohformen von Songs, luxuriös verschleuderte Geistesblitze und zerstobene Klangwunderlichkeiten werden auf "Embryonic" zusammengetragen. Die meisten Stücke klingen aber unvollendet.

Das wäre nicht schlimm, wenn die Summe des Ganzen mehr wäre als seine Einzelteile. Statt größere Zusammenhänge gibt es lediglich ein paar Linien, an denen man sich entlanghören kann: Ein Gutteil des Materials stammt aus von Coyne als "freak-out jams" bezeichneten freien Improvisationen, und man hat diesen Stücken in ihrer unberechenbaren Umlaufbahn Sternzeichen als Namen gegeben. Mit dem Brachialstück "Convinced of the Hex" geht es los. Seine stampfende Monotonie, in die spitze Gitarren hineinfahren, klingt, als müssten Krautrock und New Wave miteinander vermählt werden. So unvermittelt er einsetzt, bricht der Auftaktsong wieder ab. Mit "The Sparrow Looks Up The Machine" wird weiter an diesem abgedumpften, nachfedernden, auseinandergezerrten Beat gebastelt, der von einer aufreizenden Gitarre und Wayne Coynes erratischem Gesang überhöht wird.

Die Texte sollen von Liliana Cavanis Skandalfilm "Der Nachtportier" inspiriert sein. Fragen von Macht und Unterdrückung werden bedeutungsschwanger in den von der Musik düster gemachten Raum gestellt - bis zum mantrahaft wiederholten Zitat "Thats the difference between us". Der Film aber ist nur der Aufhänger, um grundsätzlich zu werden und textlich zwischen den Polen Natur und Technologie, dem Bösen und dem Guten zu oszillieren. Nach 70 Minuten spaciger Sound-Odyssee kommen die Flaming Lips schließlich zu so etwas wie kosmischer Bescheidenheit: "Finding that there aint no answer to find." Ein bisschen ratlos wird man tatsächlich zurückgelassen, und es ist für Exegeten wenig beruhigend, dass Wayne Coyne selbst dem produktiven Chaos anheimgefallen scheint: "Ich würde sagen", diktierte er einem englischen Kollegen in den Notizblock, "dass wir im Lauf der Aufnahmen auf allen Ebenen vom Weg abgekommen sind."

Abwege führen bisweilen auch zum Ziel, aber in diesem Fall doch oft genug in die Sackgasse. Wenn man inmitten verzerrten Bassgewummers, implodierenden Easy-Listening-Anleihen und Glamrock-Riffs (eine Hommage an T-Rex) mal eine Anlegestelle vor Augen hat, wird gleich wieder zur nächsten schrulligen Schnapsidee geblendet. Karen O. von den Yeah Yeah Yeahs gerät beispielsweise in einen onomapoetischen Tier-Dialog mit Coyne - "I Can Be A Frog". An anderer Stelle doziert der Bonner Mathematiker Thorsten Wörmann in dem Song "Gemini Syringes" über komplexe Formeln und Gleichungen. Man kann nicht behaupten, dass die Flaming Lips besonders viel Wert auf Kohärenz legen würden. Über allem aber schwebt, vielleicht das heimliche Thema von "Embryonic", die Melancholie des Älterwerdens: "I wish I could go back in time", wimmert Coyne an einer Stelle herzzerreißend.

Jeder unvollendete Song spricht von diesem Wunsch, noch einmal unbedarft sein zu dürfen. Vielleicht stoßen die Flaming Lips auch nur an die Grenzen ihres Weltalls. Der Los Angeles Times zufolge hat die Band bereits ein neues Album eingespielt, eine Re-Interpretation von Pink Floyds "Dark Side of the Moon". Eine Apollo-Mission, ganz im Trend US-amerikanischer Outer-Space-Politik: Guten Flug, ihr Flaming Lips!

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