Neues Album von Portishead: Der Trübsinn rockt noch
In Sachen Traurigkeitsemphase macht Portishead keiner was vor: Mit "Third" beendet die Band ihre Winterstarre. Und erinnert daran, was den Bristol-Sound ausgemacht hat.
Mitte der Neunziger waren sie angetreten, den gitarrenseligen und traditionsbewussten Britpop-Strebern vom Oberseminar "Ich und die Beatles" zu zeigen, was die Bassdrum geschlagen hat. "Dummy", das Debütalbum von Portishead, überführte 1994 die samplebasierte Klangwelt des Hiphop in die basslastige Soundsystem-Kultur Englands, gewann alle einschlägigen Preise und verkaufte sich prompt ein paar Millionen Mal. Es war gleichzeitig auch der Einstieg für viele Indierocker in die Welt der elektronischen Musik.
Keine fünf Jahre später hatte Portishead das schwarze Loch des Ruhms dann aber irgendwie doch verschluckt: Ausgebrannt, hörte man, sei die Band aus Bristol nach ihrer letzten Tournee 1998 gewesen. Ideen- und lustlos. An den eigenen Maßstäben gescheitert. Dabei waren sie jenes Flaggschiff, das den Sandsack-Rhythmus des amerikanischen Hiphop auf hypnotisierend-schläfrige beats per minute heruntergebremst, zum Gruseln düstere Soundflächen kreiert und diese eigenwillige Erfindung sogar in die USA reimportiert hatte.
Längst hat sich die Popwelt wieder neuen Themen gewidmet. Umso verwunderlicher, wie sich die Gerüchte um Portishead in den vergangenen zwölf Monaten dann doch verdichteten und das Interesse an der Band wieder wuchs. Als von der Planung eines neuen Albums die Rede war, verfolgten viele ältere Fans über MySpace live die jeweiligen Fortschritte. Alle anderen hatten ihre Neugierde aber gut im Griff. Eine Kurztournee Anfang April brachte dann erleichtertes Aufatmen: Der Trübsinn rockt noch. Die Zeitlupen-Loops sind verschwunden. Auch sieht die Band von der Anbiederung an zeitgemäße Genres wie Dubstep ab. Portishead klingen heute wie ein Befreiungsschlag gegen die eigene übermächtige Band-Vergangenheit.
Die freilich wirft lange Schatten. Der technikbegeisterte Geoff Barrow soll der Legende nach 1991 als junger Spund bei der Produktion des ersten Albums von Massive Attack mit von der Partie gewesen sein - weniger an den Reglern des Mischpults als vielmehr an den Knöpfen der Kaffeemaschine. Kurz darauf lernte er Beth Gibbons kennen, die in einer Werbeagentur jobbte und nebenbei sang, als würde sie den Billie-Holiday-Gedächtnispreis gewinnen wollen. Als dann noch der Jazzgitarrist Adrian Utley dazustieß, war die Dreierbande perfekt. Man benannte sich nach dem Herkunftsort des Bandgründers: Barrow stammt aus Portishead, einem tristen Vorort von Bristol.
Auf einem atmosphärisch dichten von Barrow angelegten Fundament aus Samples, gebrochenen, schleppenden Beats und Utleys pointierenden Gitarrenphrasen sang Beth Gibbons emphatisch von Schmerz und Liebesleid: "Give me a reason to love you." Als "Elektronik mit menschlichem Antlitz" wollte Barrow diese schicke Mixtur verstanden wissen - und weil auch einige Brüder im Stile wie Massive Attack und Tricky aus Bristol kamen und ästhetisch an eine bessere Welt glaubten, wurde die im Südwesten Englands gelegene Stadt kurzzeitig zum innovativsten Klanglabor im Vereinten Königreich ausgerufen.
TripHop nannte die Presse das Kind, das allerdings auch unverzüglich wieder in den Brunnen fiel: Immer mehr schwermütige Sängerinnen schwebten seinerzeit über den immer gleichen düsteren Grooves, und das wankelmütige Publikum verlor ebenso rasch wieder das Interesse, wie es zunächst Feuer und Flamme respektive Drum und Bass für den "Bristol-Sound" war. Kein Mensch redete Ende der Neunziger mehr von TripHop. Und kaum jemand vermisste Portishead, deren zweites Studioalbum schon mit einer gewissen Ratlosigkeit produziert worden war.
Nun ist das neue Album also da, und siehe: "Third" ist das Ergebnis eines zehnjährigen Luftholens. Hier ist dezidierter ausformuliert, was man vor 15 Jahren noch nicht recht verstanden hat: dass die Dichotomie von Kälte und Wärme, Künstlichkeit und Authentizität, ausgefeilten Soundscapes und echtem Gefühl, die man an Portishead exemplifizieren wollte, eigentlich eine konstruierte ist. Der Gegensatz von kühler Technik und emotionalem Gesang ist eben eine Chimäre: Schon zu Beginn war die Stimme von Beth Gibbons eben nicht allein konventioneller Ausdruck von bedrängter Innerlichkeit, sondern in starkem Maße selbst künstlich.
Mit ihrem Torch-Gesang setzte Gibbons ein historisch gewordenes Pathos in einen neuen Bezugsrahmen und agierte damit auf anderer Ebene ähnlich wie Barrow, wenn er seine Samples alten Jazz- oder Soulplatten (samt Knistern) entnahm. Die auf Seelenpein gebürstete Subjektivität klang im Zusammenspiel mit der "seelenlosen" Technik nicht weniger eindringlich. Vielmehr verblüffte die Stimme von Beth Gibbons beim ersten Hören: Sie bewegte sich ganz zerbrechlich, geschichtsbewusst, spielerisch an einem Abgrund, der durch den Sound von Barrow und Utley geschaffen wurde, und klang dabei eigensinnig und prätentiös. Gibbons sang enigmatische Zeilen, die pathetische Zitate zu sein schienen und breitesten Raum boten für Projektionen - Offenheit und größtmöglicher Wallungswert im klaustrophobischen Klangraum.
Mit "Third" wird all das als methodisches Programm fortgesetzt, aber die Bezugsgrößen sind heute andere. Beth Gibbons Stimme ist noch immer überpräsent in ihrer Zerbrechlichkeit, muss aber viel mehr gegen die Sounds und die noch gewaltigeren Beats ankämpfen. Die rollen diesmal gleich beim Auftaktstück "Silence" mit eleganter Wucht heran, von fern an afrikanische Rhythmen erinnernd, aber ganz ohne Sonne. Synthetische Streicher kommen hinzu, eine psychedelische Gitarre, almtraumhaft klingende Kuhglocken, und nach knapp zwei Minuten nimmt sich die Musik für einen kurzen Moment zurück, um Platz zu schaffen für Beth Gibbons ersten Auftritt zwischen misery und mystery: "Wounded and afraid inside my head."
Mit Pauken, Akustikgitarre und Lärmkaskaden geht es danach in "Hunter" zwar in gewohnte musikalische Gefilde; lustige Elektronikfrickeleien aber zerpflücken das Stück zwischendurch, als würde der Band die alte Portishead-Seligkeit nicht ganz geheuer sein. Überhaupt ist Heterogenität Trumpf. Die Stücke wechseln schon mal von einem Takt zum nächsten ihren Charakter; Rhythmen brechen ruckartig; die Geschwindigkeit wird angezogen und wieder gedrosselt; Hubschrauber-Rotorenblätter kreisen bedrohlich über den fragilen, sich möglichst aller Lieblichkeit entziehenden Melodien. Tanzen lässt sich darauf jedenfalls nicht, und so nebenbei zur Erholung kann man diesen Eklektik-Overkill auch nicht hören.
Keine Stilrichtung scheint dabei vor Portishead sicher. Man entdeckt selbst einen Barbershop-Chor oder ein Freejazz-Zitat. In Interviews gaben Barrow und Utley zu Protokoll, dass man sich musikalisch viel bei Doom-Metal-Bands wie den amerikanischen Sunn O))) oder Krautrockbands der Siebzigerjahre wie Can umgehört habe: So kann ein grandioser Song wie "The Rip", der als sanfteste englische Folkballade beginnt, plötzlich in der Mitte zerreißen und umkippen in einen Kraftwerkschen Elektropop-Track. Und das fulminant pulsierende, zunächst an Goldfrapp erinnernde Stück "We Carry On" wandelt sich zwischendurch zu etwas, das auch Joy Division nicht besser hingekriegt hätten. Das Seltsame ist, dass die überraschenden Brüche den Songs eine ungemeine Vitalität verleihen. Trotz der vielen Schnitte nimmt man die Tracks nicht als etwas Zersplittertes wahr.
Die Single "Machine Gun" hat die Portishead-Gemeinde im Vorfeld am meisten erschreckt. Vielleicht hatte Barrow irgendwann mal das funky Maschinengewehr der Commodores im Kopf; das E-Drum-Trommelfeuer bei Portishead weiß davon allerdings nichts mehr. Soundtechnisch sind Portishead ohnehin hinter ihre eigene Blütezeit zurückgegangen und sich selber damit paradoxerweise heute einen Schritt voraus. Aber man soll sich nicht täuschen: Der Rückgriff auf distinktionsfähige "Trophäen" (Mark Stewart) aus dem Plattenschrank und die abgedrehteren Stücke auf "Third" sind nur Radikalisierung einer Methode, die in den mittleren Neunzigern noch zu einer suizidalen Slow-Motion-Ästhetik geführt hat.
Heute werden die Dunkelheit und das Gefühl, nicht so recht in die real existierende Welt zu passen, durch eine Form musikalischer Aggressivität erzeugt. In Sachen Traurigkeitsemphase macht Beth Gibbons aber immer noch keiner so schnell etwas vor. Ihr Gesang wird hier zwar unter den Noise-Monotonien ihrer Mitmusiker ein wenig gedämpft, ist aber immer noch berückend: "I stand on the edge of a broken sky." Am Abgrund, so unwirklich er auch sein mag, wurden eben schon immer die aufregenderen Lieder gesungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“