Neues Album von Michael Sheehy: Musikalischer Faustkampf
Der Boxring als moralische Anstalt: Michael J. Sheehy & The Hired Mourners besingen und bespielen in ihrem neuen Konzeptalbum Faustkampf und Faustrecht.
Wer Michael J. Sheehy sieht, könnte den Songwriter und lebenslangen Elvis-Fan für einen Dandy halten, Referenzrahmen circa die Sechziger oder das späte 19. Jahrhundert. Er trägt Glatze, darauf zumeist einen Hut. Bowler Hat oder Zylinder, er besitzt gleich mehrere. Sheehy ist eher Hemden- als T-Shirt-Mensch und einer, dem sein Bart steht. Er könnte Pianist, Maler oder Schriftsteller sein. Aber würde man in ihm einen Box-Fan vermuten?
Wer zweimal hinschaut, wird feststellen: Der kleine Mann irischer Abstammung, aufgewachsen in einer Sozialwohnung im Norden Londons, Kentish Town, sieht ziemlich energisch aus. "Als Junge habe ich in der Schule mit circa zwölf Jahren geboxt", sagt Sheehy. "Man braucht dafür Mut, Kraft, Rücksichtslosigkeit und Kampfgeist", führt er weiter aus, um gleich darauf einzuschränken: "Traurigerweise mangelte es mir an allem."
Dafür hat er jetzt mit seiner Band The Hired Mourners ein ganzes Konzeptalbum über das Leben des fiktiven Preisboxers Francis Delaney und seinen wichtigsten Kampf veröffentlicht. Wenn sich Künstler an Boxer hängen, muss das Resultat nicht immer überzeugen.
Dieser Text ist aus der sonntaz vom 25./26.7.09 - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Aber schon Bertolt Brecht, ein anderer großer kleiner Mann, hatte ein Faible für den Ringsport. Und Sheehy erzählt natürlich nicht nur einfach vom Boxen, er macht eine ganze moralische Geschichte daraus. Eine von Kampf, Himmel, Hölle, Sünde, Sühne und Würde. Und vom Scheitern.
Das nämlich ist Sheehys Steckenpferd, da kennt er sich aus. Als Kind sah er Elvis bei seinem letzten Konzert 1977. Das Idol auch seines Vaters, gezeichnet vom Leben, das der Rock n Roll war. Drei Jahre später verlor Muhammad Ali gegen Larry Holmes. Sheehy saß erschüttert vorm Fernseher. Sein eigenes Leben danach ist auch nicht geradlinig verlaufen. Das muss als Hinweis reichen.
"Did You Hear About Delaney?", so beginnt Sheehy den ersten Song von "With These Hands". Er singt mit samtweicher Stimme, dazu kommen jedoch eine bedrohliche Orgel und ein Spielzeugklavier im Hintergrund. Man ahnt, dass hier nicht von Ruhmestaten zu hören sein wird.
Die Musik, die Sheehy für seinen Stoff wählt, eine Rumpelkammer aus Gothic-Swamp, Vaudeville, Blues und Folk, scheint vertraut. Es ist die Methode, die man von Tom Waits kennt: in einem Moment das Heimelige, im nächsten das Unheimliche. So, wie sich Waits bei Captain Beefheart und der wiederum bei Howlin Wolf bediente, macht auch Sheehy etwas Eigenes daraus. "Die Geschichte des am Boden zerstörten, mit Problemen belasteten Boxers wurde viele Male erzählt", sagt er.
"Die offensichtlichen Klischees versuchte ich zu vermeiden." Das "Märchen" erzählt er nun in verschiedenen Episoden, die verschiedenen Rollen besetzt er mit den (Gast-)Sängerinnen Sandy Dillon, Patsy Crime und Gemma Ray. "With These Hands" könne als Musical aus den frühen Sechzigern betrachtet werden, so Sheehy und fügt hinzu: "Die Box-Veranstalter sind tatsächlich die Verbrecher."
In "Crooked-Eye Engineer" tritt Sheehy als ein solcher auf und passt wie in den anderen Tracks den Tonfall den Charakteren an. Er gibt die größenwahnsinnige und bemitleidenswerte Type, die sich einbildet, ein tougher Eastend-Gangster zu sein, droht und giftet. Dahinter steckt ein zutiefst verunsicherter Homosexueller, eine Figur, die Strippenzieher sein möchte und selbst ferngesteuert ist. "Aint A Whit Boy Alive" porträtiert einen anderen Verirrten, einen US-amerikanischen Promoter mit irischen und jüdischen Wurzeln, der am liebsten schwarz wäre.
Sheehy ist weit davon entfernt, die Boxarena und alles, was mit ihr zusammenhängt, das Geld und die Gosse, zu romantisieren. Bei ihm fußt die Boxwelt nicht nur auf Faustkampf, sondern auf Faustrecht. Sympathie will allenfalls mit den Kämpfern selbst aufkommen.
"Ich hatte immer eine Vorliebe für die ewigen Vergeuder", sagt Sheehy. "Diese Sportskanonen, die wissen, wie gut sie sind, aber glauben, das Spiel selbst sei wichtiger als Geld und Preise." Unprofessionelle Profis also, denen am Schluss des blutigen Spektakels nicht viel übrig bleibt. Wenn sie Glück haben, wartet wenigstens jemand auf sie. Oder sie haben sich einen Rest Humor bewahrt, der zwar nichts ungeschehen macht, aber Halt gibt.
"With These Hands" ist ein tiefschwarzes Drama mit einigen hellen Momenten, die fast schon unwirklich scheinen. Sollte David Lynch dereinst vorhaben, eine Boxerstory als groteskes Sozialdrama zu erzählen, dann hat er hier den Soundtrack.
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