Neues Album von House-Duo Justice: Was ihr wollt

Das französische House-Duo Justice verwendet gern das Christenkreuz als Symbol. Auch mit seinem neuen Album "Audio, Video, Disco" will es provozieren.

Das französische House-Duo Justice – in der Mitte die Oma von Label-Chef Pedro Winter. Bild: warner

Xavier de Rosnay trägt eine Halskette. Wie abwesend nestelt er am V-Ausschnitt seines Chic-T-Shirts herum und fördert im Laufe des Gesprächs zwei silberne Kreuze zutage, die an dieser Kette hängen. Erst das eine, Minuten später das andere. Ein ziemlich effektvoller Anblick. Viel bedeutsamer als all die PR-Sprechblasen, die in den 30 Minuten Interviewzeit verpuffen.

Der 29-jährige de Rosnay, und sein drei Jahre älterer Produzentenpartner Gaspard Augé haben es geschafft, das Christenkreuz, ein simples, ebenso abgegriffenes wie mit Bedeutung überfrachtetes Symbol, mit der Essenz ihres House-Duos Justice aufzuladen. "Das Kreuz ist unser Frontmann", erklärt de Rosnay und geizt nicht mit Vergleichen: "Wenn Justice The Police wären, dann ist das Kreuz Sting."

Sting ist seit neuestem aus Beton. Tonnenschwer in die Natur geklotzt, vom Horizont her mit mythischem Licht beschienen. Das zweite Justice-Album kommt, anders als das pechschwarz gehaltene, comichafte Artwork ihres Debüts, ziemlich feststofflich und strahlend rüber. Ansonsten hat sich optisch wenig verändert. Auch die Musik ist immer noch hauptsächlich aus elektronisch nachgestellten Rockklischees zusammengestückelt. Ein bewährtes Erfolgsrezept muss man schließlich nicht ändern.

Abgeh-Sound

Das Debütalbum von Justice, nach dem Symbol auf der Plattenhülle behelfsmäßig "Cross" genannt, verkaufte (laut Angaben der Plattenfirma) weltweit rund 600.000 Einheiten, davon 100.000 in Großbritannien. Eine Sensation war es allemal. Bedingungsloser Abgeh-Sound für den Moshpit in der Disko, der von seinem Verzerrereinsatz und Aggressionslevel her an Metal erinnerte und weltweit Konzerthallen füllte. Justice wurden damit zu den ersten globalen Stars einer jungen, teils proletarischen Pariser Dance-Szene rund um das Label Ed Banger.

Sie machten wieder einmal das Märchen des elektronisch generierten Rockstars wahr. Allerdings traten hier zwei Typen mit verzottelten Vollgesichtsfrisuren und schlechten Tätowierungen auf und hielten es nicht mehr für nötig, ihre Identität mit, sagen wir mal, Roboterhelmen zu tarnen. Plötzlich rotzten ganz gewöhnliche Indie-Hipster zu diesem enormen Radau aus den Marshall-Verstärker-Attrappen auf ihrer Bühne.

Die Tournee zum Debütalbum ließ sich in der Folge passgenau in ein Rock-n-Roll-Roadmovie verpacken, mit Augé und de Rosnay als Protagonisten, die von kreischenden Fans, über Poolpartys mit Groupies, bis hin zu Schlägereien in Clubs keine der vorgeschriebenen Disziplinen ausließen.

"A Cross the Universe" war der bescheiden an einen Beatles-Song angelehnte Titel des folgenden Live-Albums und auch des Dokumentarfilms zur Tour. Das neue Justice-Album heißt nun "Audio, Video, Disco". Der lateinisch angehauchte Titel klingt stark nach Schulbank: Ich höre, sehe, lerne. Genauso altertümlich ist auch der übrige Referenzrahmen mit maßgeblichen Versatzstücken von Prog-, Schweine- und Mittelalter-Rock. Gespart wurde dafür an filigranen Disco-Versatzstücken. Insgesamt ist "Audio, Video, Disco" ein schlüssigeres Werk, hat aber weniger Wumms als "Cross".

Es wurden sozusagen die Spitzenamplituden gekappt und der Rest weiter komprimiert. Der von Romain Gavras 2008 gedrehte Videoclip zum Hochspannungs-Elektro "Stress" war da viel aufregender. Er zeigt Jugendliche aus der Banlieue, die in blinder Zerstörungswut durch Paris ziehen und wahllos auf Menschen einprügeln, auf dem Rücken ihrer Bomberjacken ein fettes, schwarzes Kreuz. Skandal! Gewaltverherrlichung! Rassismus!

Begeisterung auch für Mist

Heftige Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, aber Justice wussten in ihrer typischen schulterzuckenden Art damit umzugehen. Sie lobten die ästhetischen Qualitäten des Clips und verwiesen auf die Auszeichnungen, die Gavras dafür einheimste. Über die Botschaft äußerten sie sich dagegen nicht. Überhaupt ist Ästhetik ihr Ding: Formen, Fluchtlinien, Verhältnisse. Vor ihrer Musikerkarriere arbeiteten beide als Grafiker. Wenn Justice beschreiben, wie ihre Musik entsteht, wirkt das immer sehr bildlich. Zunächst werden in einem langen Prozess die Bezugspunkte abgezirkelt, bis das sich so ergebende Feld nur mehr mit logisch ableitbaren Linien auszufüllen ist. Vektorgrafikmusik.

Gaspard Augé und Xavier de Rosnay sind zweifellos fanatisch. Aber eben im Sinne von Fan: Ihre Musik lebt von kritikloser Begeisterung, auch für ganz großen Mist. Justice selbst sind die Ersten, die das zugeben. Angesprochen auf einen zentralen Einfluss ihres neuen Albums, kontert de Rosnay mit Naivität: "Um ehrlich zu sein wissen wir nicht viel über Prog-Rock. Wir mögen Musik, die simpel ist und einfache Gefühle auslöst. Und wir wollen auch mit unserer Musik einfache Gefühle ansprechen."

Dafür bauen Justice immer noch mächtige Klangwände auf. Das aktuell wieder sehr angesagte Aufschichten einer Wall of Sound steht, bei Gitarrenbands ebenso wie bei verschämt auf ihr Equipment starrenden Elektroproduzenten, meist für Abwehr: Sie ist Schutzschild für die doch öffentlich betriebene Instrospektion.

Ein Gegensatz, in dem auch der Reiz des neuen Shoegaze-Trends liegt. Justice sind das Gegenteil davon. Ihre Klangwand ist sich selbst genug. Die Oberfläche wird mal angekratzt, aufgeraut oder poliert, aber es gibt nichts, was dahinter zu verbergen wäre, zumal textlich. Die drei Gastsänger, die auf ausdrücklichen Wunsch der Produzenten möglichst unpersönlich, entkörpert und gleich klingen sollten, zählen diffuse Sehnsuchtsorte auf ("Ohio", "Newlands").

Im Stück "Civilization" singt Ali Love von Kreuzrittern, von einem Feuerwirbel aus Trommeln und Gewehren unter einem "merciless sky" - klassische Hardrock-Poesie. An abgeschmackten Referenzen wie Hair-Metal und Prog-Rock arbeiten sich auch andere Produzenten ab, etwa die von HipHop und klassischem Electro geprägten Schotten Hudson Mohawke oder der Wonkie-Produzent Rustie. Im Vergleich zu ihm wirken Justice monochrom.

Für Kreuzritter

Wenn es bei Prog-Rock darum ging, Populärmusik durch Virtuosität und an Klassik angelehnte Bombaststrukturen hochkulturell zu beweihräuchern, dann sorgen Justice nun für die Umkehrung: Sie liefern eine synthetische Prog-Emulation in 2-D. Ohne den Tiefgang und minus seiner Komplexität, auch ohne esoterischen Ballast. Ein wunderbares, eher unspektakuläres Kompromissmodell. Auf Justice sollen sich alle einigen können. Kreuzritter, Lateiner, 70er-Nippes-Fans - man mag sich wundern, wo das Jetzt in dieser Musik geblieben ist.

Man könnte fragen, ob in dieser Welt der kollektive Übergang der Generation MySpace - Justice hatte ihr mit "We Are Your Friends" den Gassenhauer geliefert - zu Facebook wirklich den entscheidenden (einzigen?) Sprung darstellt. Für Justice, deren Musik sich bewusst von Inhaltlichem fernhalten will, stellt sich diese Frage indes nicht. De Rosnay und Augé sind Designer. Was nur für ihr zeitgemäßes und pragmatisches Verständnis von Pop spricht.

Sie sind freundliche und intelligente Zeitgenossen, die im Interview bereitwillig Auskunft geben und die hohe Kunst beherrschen, dabei doch nichts zu sagen. Justice wissen, dass Popstars gegen ihre Rolle als Projektionsfläche nicht ankommen. Also liefern sie sich offensiv aus. Im Videoclip zu ihrem bisher erfolgreichsten Stück "D.A.N.C.E." präsentieren sie ihre Körper als beliebig bespielbare Leinwände: Wir sind, was immer ihr wollt. Es ist ein Kreuz mit dieser Essenz. Sie ist alles und nichts.

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