piwik no script img

Neues Album von DJ KozeDie Muse hat den Kuss verzögert

Tiefgründiges, Späße und illustre Gäste am Mikrofon: DJ Koze und sein monumentales neues Dancefloor-Album „Amygdala“.

Trinkt gerne spanischen Espelt-Wein: DJ Koze. Bild: Promo

Ewig her, dass DJ Koze ein Album veröffentlicht hat. Bis zum neuen Werk „Amygdala“ mussten acht Jahre vergehen. Dafür ist dieses Klangmonument aber auch in jeder Faser fesselnd geraten. So wie die Amygdala im Zentrum ein Kerngebiet des menschlichen Hirns bezeichnet, streift der Hamburger Elektronikproduzent mit den dreizehn Tracks durch alle Verzweigungen seines krausen Gedankenkosmos.

Zu balinesischen Gamelan-Klängen klettert er durch das Blattwerk tropischer Bäume, bei einem scharf geschliffenen Housetrack treibt es ihn geradewegs in die dunkle Ecke der Tanzfläche, und zarte Streicher lassen ihn in die Arme der greisen Herzogin von Alba fallen.

„Ein Meisterwerk“, sagt Koze gar nicht bescheiden, sei sein neues Werk geworden, „von tierisch überragender Qualität.“ Eine illustre Schar von Gästen hat sich eingefunden, um mitzustricken an „Amygdala“: Darunter Apparat, Dirk von Lowtzow oder Ada. Sie singen, was ihre Kehlen hergeben. „Ich hatte Lust, mich zu öffnen. Gleichzeitig bin ich aber Bestimmer, also sollten sich die Gäste am Mikrofon austoben, während ich die Musik ausgestalte.“

Entstanden ist „Amygdala“ größtenteils in einem Fischerdorf im nordspanischen Galizien. Dorthin, wo die Tage nur durch Winde aus den Bergen oder von der See bestimmt werden, zog sich Koze zurück. Stets begleitet von einer Flasche Espelt, dem „erlesenen katalanischen Wein“, schnitt er die Gesangsspuren zurecht, unterlegte sie mit immer neuen Klangschichten und collagierte Soundschnipsel hinzu. Ob fein nuancierter elektronischer Pop, smoother House oder bräsiger Techno – immer ist die Signatur mit Kozes unverwechselbar funky Handschrift versehen.

In den Brunnen gestiegen

„Das Ganze konnte nur klappen, weil ich das Leben eines Einsiedlers führte. Ich musste in den Brunnen steigen, damit alles drumherum verschwindet.“ Bekannt wurde Stefan Kozalla im Gewand des klamaukigen Jungen: ein betont punkiger Freigeist am DJ-Pult. Auch die Künstlernamen Monaco Schranze oder Adolf Noise sagen aus, da möchte einer alles nicht so ernst nehmen. Gemeinsam mit Max Goldt karikierte er 2001 mit „Deine Reime sind Schweine“ die Battlekultur im HipHop. Inzwischen, so besagt ein Gerücht, malt er niedliche Esel auf große Leinwände.

Mit seinem albernen, aber niveauvollen Humor reiht sich Koze in die Hamburger Musikszene von Jaques Palminger bis Erobique. Ersterer hinterließ einst auf seinem Anrufbeantworter eine Einladung zu einem Offizierstreffen mit Besäufnis, die DJ Koze direkt auf seinem letzten Album „Music is okay“ verarbeitete. Im Trio mit Erobique und Cosmic DJ brachte Koze unter dem Namen International Pony die beiden mainstreamkompatiblen Alben "We love Music" (2002) und „Mit Dir sind wir vier“ (2006) heraus.

Dass er ursprünglich beim HipHop anfing und in den Neunzigern in der Flensburger Formation Fischmob spielte, zeigt sich bis heute in der ungekämmten Attitüde seiner Dancefloor-Musik und den smarten Wortspielen der Tracktitel. „Nices Wölkchen“ und „Dont loose My Mind“ heißen zwei Songtitel auf dem neuen Album.

Eigenwillige Frauenfiguren

„Amygdala“ aber ist trotz oder gerade wegen des Spaßfaktors ein musikalisch tiefgründiges Werk geworden. Eigenwillige Frauenfiguren bringt Koze darauf zum Vorschein. Erneut widmet er sich Hildegard Knef. Aus Originalaufnahmen von ihr schnitt er den Song „Ich schreib dir ein Buch“. Kozes Zuneigung für die Herzogin von Alba, dieser schauerlichen Greisin „mit der Stimme einer Säge“ äußert sich in dem hauchzarten Housetrack „La Duquesa“. Den wuchtigsten, minimalen Part des Albums betitelt er "Marilyn Whirlwind", wie der Rollename einer "weisen, sanften" US-Indianerin aus der TV-Serie „Northern Exposure“.

Die Kölner Technoproduzentin Ada singt eine wunderschön luftige Melodie über einen RnB-haften Track. Dirk von Lowtzow bringt sich mit seiner sanft-sonoren Stimme wiederum ironisch ein. Begleitet von fetttriefenden Beats sinniert der Tocotronic-Sänger gewohnt trocken über die Liebe. „Dirks Gesangsaufnahme, erkennbar am Datum der Datei, wurden um 9.03 Uhr abgespeichert. Er hat um sieben Kaffee getrunken, ging um acht ins Studio und um neun war er fertig. Zu dem Zeitpunkt schlafe ich noch gar nicht. Das hat mich beeindruckt. Meine Hauptkreativzeit ist nachts. Erst dann kommt der Blues. Und selbst dann weiß ich noch nicht, ob mich die Muse wirklich küsst.“

„Amygdala“ wird erst mit 17- monatiger Verspätung veröffentlicht. Vielleicht mag die Muse etwas gezögert haben. Aber für dieses Epos hat sie Stefan Kozalla dann doch geküsst.

DJ Koze: "Amygdala" (Pampa/Rough Trade)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!