: Neuerer Held des älteren Erzählens
■ Der Schriftsteller Christoph Ransmayr liest im Literaturhaus aus „Morbus Kitahara“
In der ersten Hälfte der 80er Jahre brauchte die deutsche Literatur neue Helden. Die Ich-Erforschung der 70er war irgendwie schal geworden, und schon gar nicht zogen die spätgeborenen Entwürfe der Nachkriegsliteratur, sie wirkten immer sozialdemokratischer. Im Rückblick läßt sich das Datum, an dem der Büchermarkt auf diese Lage reagiert hatte, eindeutig bestimmen, es fällt zusammen mit dem Erscheinen der deutschen Übersetzung von Gabriel Garcia Márquez' Hundert Jahre Einsamkeit. Da waren die Endspiele und die Ich-Umkreisungen vorbei, da wurde nicht mehr nachgedacht, da wurde erzählt. Und so geschah es bald auch in der deutschen Szene. Denn wo Helden gebraucht werden, da erscheinen sie auch, Stan Nadolny wäre zu nennen und Patrick Süskind natürlich. Und als die Transformation der Literaturlandschaft hin (oder auch zurück) zum raunenden Erzähler abgeschlossen war, da stieß der Österreicher Christoph Ransmayr zu den Helden. Heute wird er im Literaturhaus seinen neuen Roman Morbus Kitahara vorstellen.
Held des Erzählens. Christoph Ransmayr hat mit seinen Büchern der Geschichte des Aufschreibens nichts Neues hinzugefügt. Er hat auch das Feld, in dem sich Literatur vollzieht, nicht verschoben. Trotzdem hat er in die Geschichte der Bücher eingegriffen: indem er die Figur des gegenwartsabgewandten, eher an den Rändern als im Zentrum hausenden Schriftstellers restituierte. Sein Roman Die letzte Welt war wohl der größte Erfolg von Enzensbergers Anderer Bibliothek, eine dahinfließende Epopöe rund um Ovids Metamorphosen. Vorher war Ransmayr in die Schrecken des Eises und der Finsternis aufgebrochen. Nicht umsonst wird bei ihm immer wieder die Sprache gelobt: Seine Bücher sind so von Handlung gesättigt, daß die Sprache selbst nicht thematisch wird. Da ist die Fahrt frei zum Erzählen. Und das Kunstgewerbe zum Genießen freigegeben. Um die neuen Helden zu beschreiben, braucht es einen alten, eigentlich ausgeleierten Begriff: Mainstream.
Nun ist diese hier vorgetragene Einschätzung viel zu glatt und eindeutig, als daß sie nicht doch wieder etwas verwischt werden sollte. Ransmayrs neues Buch Morbus Kitahara unterscheidet sich von der Letzten Welt erheblich. In den Erzählfluß sind Brüche eingebaut, Manierismen, Seltsamkeiten. Dem Spiel der Unverbindlichkeiten hat Ransmayr hier Grenzen gesetzt.
Trotzdem: Innerhalb der Mainstream-Literatur mag Ransmayr einer der avanciertesten sein, über sie hinaus kommt er nicht.
Dirk Knipphals
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