Neuer Spielfilm aus Island: Der Zorn einer Frau
Eine isländische Bäuerin nimmt den Kampf gegen eine mafiöse Genossenschaft auf. Neu im Kino: „Milchkrieg in Dalsmynni“ von Grímur Hákonarson.
Fast schon putzig klingt das Wort Dalsmynni. Harmlos und nett. Wie etwas Kleines. Und tatsächlich ist Dalsmynni, hinter dem sich ein Milchhof auf Island verbirgt, Teil eines kleinen, ja, engmaschigen Gebildes: einer Genossenschaft. Seit über hundert Jahren zieht diese einen Bannkreis der Autarkie um ihre Mitglieder, der befreien soll: von Wettbewerb, von Reykjavík, der Welt.
Bauern kaufen ausschließlich die Produkte anderer Bauern, alles ist streng reglementiert, Einnahmen fließen auf eigens gestellte Konten. Eine Idee, erdacht, um Sicherheit zu gewähren und Schutz. Aber wie es so ist, wenn man es mit der Fürsorge übertreibt – irgendwann wird der Beschützer zum Bewacher und das, was man eigentlich schützen wollte, eingepfercht.
Es ist ein mächtiger, perfider Sumpf, der sich vor einer Witwe namens Inga (Arndís Hrönn Egilsdóttir) in Grímur Hákonarsons neuem Film auftut. Dabei ist Hákonarson mit der Darstellung problematischer Land-Szenarien längst vertraut: In „Sture Böcke“ (2015) zeigte er das Leben zweier zerstrittener Brüder, Züchter von Schafen, die erst wieder zueinanderfanden, nachdem eine Behörde beider Existenz gefährdet hatte.
In „Milchkrieg in Dalsmynni“ kommt die Gefahr ebenfalls von oben. Und dieses Mal schreckt sie auch nicht davor zurück, handgreiflich zu werden: Als Inga signalisiert, dass sie nicht länger Teil der Genossenschaft sein will (und dies auch via Facebook kundtut, indem sie sie als „Mafia“ brandmarkt), bekommt sie plötzlich Besuch von einigen Prügelknaben, die sich an Kübeln auf ihrer Terrasse zu schaffen machen.
Spitzel und Verpetzer
Denn um Dalsmynni hat sich längst ein Apparat der Unterdrückung gebildet. Es gibt Spitzel und Verpetzer, das Allgemeinwohl steht nicht mehr über den Interessen Einzelner, sondern darunter. Natürlich sagt man das nicht so; man behauptet das Gegenteil. Alle anderen sind Lügner. Also auch Inga.
Es scheint ein Motiv, an dem Hákonarson, der auch für die Drehbücher seiner Filme verantwortlich zeichnet, besonderen Gefallen gefunden hat: fiese Personen mit Anweisungen und Drohungen im Gepäck, die es auf eigensinnige, liebenswerte und couragierte Landmenschen abgesehen haben. Menschen, wie es sie heute vielleicht nur noch wenige gibt. Für Hákonarson sind sie die wahren Helden, die Freigeister der Gegenwart.
Und Inga ist eine von ihnen. Zur Witwe wird sie allerdings erst im Verlauf des Films. Vorher hatte sie mit Reynir zusammengelebt, beide betrieben sie den Milchhof Dalsmynni. Mit wenig Zeit füreinander und am Limit ihrer Kräfte, doch leidenschaftlich und mit einem gewissen inneren Frieden. Sah man Inga nach getaner Arbeit mit Zigarette vorm Stall, dann ahnte man sowohl die Erschöpfung als auch ein ausreichend großes Einverständnis mit diesem Dasein, um es in dieser Form fortzuführen und sogar zu schätzen.
Dabei wird in „Milchkrieg in Dalsmynni“ schnell deutlich, dass Inga mit diesem Gefühl offenbar allein dastand. Als Reynir mit einem Lastwagen verunglückt, können keine Anzeichen für einen Bremsversuch festgestellt werden. Es sieht ganz danach aus, als hätte Reynir den Unfall bewusst kalkuliert, auf den eigenen Tod spekuliert. Für Inga ein Schock.
Unter Druck setzen
Nach und nach werden Gründe ersichtlich. Dass Reynir von den Leitern der Genossenschaft unter Druck gesetzt wurde. Dass er die Einkäufe anderer Bauern überwachte und, sollten diese in den freien Markt hinein getätigt worden sein, etwa, weil Produkte billiger waren, sie auch verpfiff. Geschehnisse, von denen Inga bis dato nichts wusste. Und die sie wütend machen.
In einem frühen Bild des Films – der Dominoeffekt der Erkenntnisse befindet sich bei Inga noch im Anfangsstadium – wirkt der Strickpullover, den sie trägt, wie mit einem Wellenmuster versehen. Die Wellen schlagen ihr hoch bis zum Hals. „Sie ist gerade etwas unausgeglichen“, versucht Leifur, einer der tragenden Genossenschaftler, noch kleinzureden, was Inga empfindet und was sie zu dem befähigt, was die weitere Eskalation dieser Geschichte bestimmt: tief in die Scheiße einzutauchen, die in und um Dalsmynni seit langer Zeit stinkt.
Grímur Hákonarson inszeniert Inga als Donnergöttin von nebenan. Die vor Popcorn und Hollywood-Filmen auf dem Sofa versackt, die gleichzeitig aber auch bereit ist, den Hof allein zu schmeißen, die anderen Bauern wachzurütteln und mit einem Tank voll Milch vor den Büros der Genossenschaft vorzufahren, um die weiße Flüssigkeit demonstrativ an die Fassade zu spritzen.
„Milchkrieg in Dalsmynni“ handelt vom Zorn einer Frau, der nicht im Privaten verharrt – wohl auch, weil das Private hier sowieso längst infiltriert ist –, sondern mit einer Kraft daherkommt, die nicht anders kann, als Bestehendes, Verkrustetes, Verseuchtes aufzusprengen.
Harmlos und nett. Nicht weiter könnten Inga und ihr Hof von derlei Zuschreibungen entfernt sein. Und klein gleich gar nicht: Hier vollzieht sich nichts Geringeres als ein Systemwechsel.