Neuer Initiationsritus

Raum enttabuisieren: „Schauplätze 1“ als künstlerischer Parcours im Schauspielhaus  ■ Von Petra Schellen

Angenommen, man bezöge eine passable, aber total übermöblierte Wohnung: Was würde man tun, um sich den Raum zu Eigen zu machen? Wohin flüchten vor dem überschüssigen Mobiliar, das einem als Relikt fremder Geschichte(n) entgegenstarrt? Und wie könnte man eine eigene neue Ordnung finden, ohne sich von der vorgegebenen suggestiv beeindrucken zu lassen?

Vielleicht – und genau das hat das Schauplätze-Team jetzt im Schauspielhaus-Parkett getan – erstmal probehalber die Stühle rausreißen. Vielleicht, für alle Fälle, auf dem Boden markieren, wo sie standen. So geschehen im Café Ellmenreich, wo Esther Reinhardt die Original-Standplätze von Tischen und Stühlen mit Leuchtband gekennzeichnet hat.

Innere Sicherheit heißt die Installation, die die an diesem Wochenende stattfindenden Schauplätze 1 – ein Parcours aus Film, Performance, Hörstück und Installation – begleitet. Sicherheit in traditionellen Strukturen zu suchen – ein Phänomen, das einem angesichts des Publikumsechos auf die erste Spielzeit unter Tom Strombergs Intendanz ziemlich bekannt vorkommt. Und obwohl die von Hortensia Völckers konzipierte Aktion keine direkte Antwort darauf ist, wirkt sie doch wie ein weiterer Versuch des Schauspielhaus-Teams, das Verhältnis zum vorgefundenen Raum zu definieren.

Einen riesigen Stuhl haben etwa Michael Elmgreen und Ingar Dragset ins entstuhlte Parkett gesetzt, in dem sich der Betrachter ungefähr so klein fühlt wie der Schauspieler angesichts des Zuschauerraums. Dimensionsverschiebung ist also angesagt in dem Experiment, das einem Initiationsritus gleicht und zugleich das Innere der Schauspielhaus-Bühnentechnik nach außen kehrt: Mrs. Dalloway haben Teresa Hubbard und Alexander Birchler ihren auf der Drehbühne produzierten Endlos-Film genannt. Nicht nur gedanklich erschafft und vernichtet die Protagonistin darin Realitäten: Auch die Bühne dreht sich, wenn sie in die Ferne blickt und dort – keinLandschaftsidyll von Malern des 19. Jahrhunderts, sondern den architektoni-schen Wurf von deren Zeitgenossen erblickt: die endlosen Zuschauerreihen des real existierenden Schauspielhauses eben.

„Man soll sich wieder selbst empfinden lernen“, sagt Dramaturgin Dorothea von Hantelmann über das Projekt, in das auch eine Jerome-Bel-Sequenz integriert ist, die stark an seine Tanzperformance The Show must go on erinnert: Bühnenvorhänge sind diesmal die Akteure, die sich gemächlich heben und senken, als seien sie in Wirklichkeit Ballettröckchen, denen die Tänzerinnen abhanden gekommen sind. Das heißt – eigentlich sind sie deutlich zu sehen, die TänzerInnen aus The Show must go on: in den Falten des durchsichtigen Vorhangs, deren Muster den Ausgangspositionen des damaligen Ensembles gleichen. Alles also dieselben Muster, alles derselbe Stoff – egal, ob ein Mensch drin ist oder nicht? Jerome Bel lächelt und spielt noch ein bisschen mit Lichteffekten, bevor der letzte Vorhang fällt.

Das wars dann auch schon mit der Zuschauer-seitigen Passivität. Aktive Teilnahme an der Einweihung des Raumes ist danach angesagt. Zum Beispiel, wenn sich das Publikum auf Lammfelle legt, um Jan Peters' an die Decke projizierten Film Wie ich ein Höhlenmaler wurde, entstanden während einer Bühnenbildner-Hospitanz, anzugucken. Vom Boden bis zur Bühnenkuppel reicht jetzt die Perspektive, nochmals gebrochen dadurch, dass das an der Decke Gezeigte teils im Bühnen-Unterboden spielt.

Dass einem bei diesem zeitlichen und perspektivischen Quantensprung schwindlig und übel wird, ist nur ein Nebeneffekt. Entscheidend ist die Enttabuisierung der Bühne – und des Zuschauerraums, dem man die Füße zustreckt. Eine Haltung, die in den Sarkophagen gotischer Kathedralen grober Missachtung glich, weswegen die Füße der Verstorbenen nie zum Altar hin ausgerichtet wurden. Aber der Zuschauerraum ist ja auch kein Altar. Und schon gar kein Heiligtum.

Aufführungen: Sonnabend 16, 18, 20 Uhr, Sonntag 14, 16, 18, 20 Uhr.